Sitzverlegung in die Schweiz – Ein Fall für die Altreservenpraxis?

<article class="rz"><h2>1. Einleitung</h2> <p>Die Altreservenproblematik ist heutzutage von der t&auml;glichen Steuerberatungspraxis in der Schweiz kaum mehr wegzudenken. &Uuml;ber zahlreichen Umstrukturierungen, aber auch Verk&auml;ufen unter unabh&auml;ngigen Dritten, h&auml;ngt stets das Damoklesschwert einer zumindest teilweise verweigerten Verrechnungssteuerr&uuml;ckerstattung. Obwohl urspr&uuml;nglich im Missbrauchsgedanken begr&uuml;ndet, ist ein Trend hin zu einem eigentlichen positivrechtlichen Altreserventatbestand (wie auch anderer Missbrauchstatbest&auml;nde<a title="" href="#_ftn1" name="_ftnref1">⁰¹</a>) zu beobachten. Die entsprechende Problematik soll im vorliegenden Beitrag anhand einer Sitzverlegung eines ausl&auml;ndischen Unternehmens in die Schweiz untersucht werden. Auch hier ging die Eidgen&ouml;ssische Steuerverwaltung (ESTV) zun&auml;chst davon aus, dass die in die Schweiz gebrachten &laquo;Altreserven&raquo; uneingeschr&auml;nkt der schweizerischen Missbrauchspraxis unterl&auml;gen</p> <h2>2. Ein Praxisfall</h2> <h3>2.1 Sachverhalt</h3> <p>Die A-Gruppe hat ihren Konzernhauptsitz in den USA. Geplant war, s&auml;mtliche europ&auml;ischen Gesellschaften in die niederl&auml;ndische Sub-Holding C HoldCo einzubringen und in einem zweiten Schritt den Sitz der spanischen Holdinggesellschaft D HoldCo in die Schweiz zu verlegen. Aufgrund zeitlicher Verz&ouml;gerungen bei der Umsetzung der Transaktion wurden die Schritte aber umgestellt: Zuerst verlegte die D HoldCo ihren Sitz von Spanien in die Schweiz. Rund ein Jahr sp&auml;ter wurde sie in die C HoldCo eingebracht.</p> <p><img src="https://images.ctfassets.net/bgpaxzxi3eyz/1WJkOIvJLFaAjENBXmk58n/74d14036ae3ef510e4e3aac8dc2c1c99/A9_Band_2-2021_GrafikRZ3.png" alt="zsis zentrum schweizerisches und internationales steuerrecht tobias rohner selina many sitzverlegung schweiz altreservenpraxis" width="930" height="400" /></p> <p>Unmittelbar vor dem Zuzug in die Schweiz pr&auml;sentierte sich das Bilanzbild der D HoldCo wie folgt:^{<a title="" href="#_ftn2" name="_ftnref2">02</a>}</p> <p><img src="https://images.ctfassets.net/bgpaxzxi3eyz/4Frersl1LXC0Gg2lm4QAj8/2dc9ab12f2e7b1e78d96a3e88f19c3e4/A9_Band_2-2021_GrafikRZ5.png" alt="zsis zentrum schweizerisches und internationales steuerrecht tobias rohner selina many sitzverlegung schweiz altreservenpraxis" width="930" height="186" /></p> <p>Ihr erstes Gesch&auml;ftsjahr nach ihrem Zuzug in die Schweiz schloss die D HoldCo mit einer schwarzen Null ab. Das Bilanzbild bei Einbringung in die C HoldCo gestaltete sich demnach weiterhin unver&auml;ndert.<a title="" href="#_ftn3" name="_ftnref3">⁰³</a></p> <h3>2.2 Auffassung der ESTV</h3> <p>Im Hinblick auf eine geplante Dividendenaussch&uuml;ttung einige Jahre nach der Sitzverlegung stellte die D HoldCo bei der ESTV einen Antrag auf Meldung statt Entrichtung der Verrechnungssteuer. Die ESTV zweifelte nicht an der Abkommensberechtigung der C HoldCo, stellte sich aber auf den Standpunkt, dass ein Abkommensmissbrauch (Altreservenfall) vorl&auml;ge. Unmittelbar nach der Sitzverlegung der D HoldCo in die Schweiz sei <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1999/223/de#art_10" target="_blank" rel="noopener">Art. 10 Abs. 2 lit. a des Doppelbesteuerungsabkommens Schweiz-USA</a> (DBA-USA) anwendbar gewesen. Diese Bestimmung sehe bei qualifizierten Beteiligungen f&uuml;r Dividendenaussch&uuml;ttungen eine Sockelsteuerbelastung von 5% vor. Nach der Einlage der Aktien der D HoldCo in die C HoldCo seien die Dividendenaussch&uuml;ttungen gem&auml;ss <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2011/724/de#art_10" target="_blank" rel="noopener">Art. 10 Abs. 3 lit. a des Doppelbesteuerungsabkommens Schweiz-Niederlande</a> (DBA-NL) hingegen vollst&auml;ndig von der Quellensteuer befreit, weshalb die vollst&auml;ndige Verrechnungssteuerentlastung f&uuml;r die bei Einbringung bereits bestehenden Reserven nicht gew&auml;hrt werden k&ouml;nne. Dem Argument, dass die Reserven der D HoldCo grossmehrheitlich im Ausland ge&auml;ufnet wurden, schenkte die ESTV vorerst kein Geh&ouml;r. Erst als der Nachweis erbracht wurde, dass die im Ausland entstandenen Reserven durch Kapitaleinlagen entstanden und diese als solche auch in der Schweiz anzuerkennen seien, konnte das Problem der Altreserven massiv entsch&auml;rft werden.</p> <p>Soweit aber die ausl&auml;ndischen Reserven durch Gewinnr&uuml;ckbehalte entstanden sind, bleibt gem&auml;ss Praxis der ESTV das Altreservenproblem. Die ESTV stellt sich mithin auf den Standpunkt, dass sich die Altreservenproblematik unabh&auml;ngig davon stellt, ob die Reserven im In- oder Ausland sind. Lediglich dann, wenn die im Aus- oder im Inland entstandenen Reserven als Kapitaleinlagereserven (KER) gelten, komme die Altreservenpraxis nicht zur Anwendung, da KER nicht der Verrechnungssteuer unterliegen w&uuml;rden. Diese Ansicht soll in der Folge kritisch beurteilt werden.</p> <h2>3. Steuersystematische Einordnung von importierten Reserven</h2> <p>Die Praxis der ESTV differenziert, ob die im Ausland gebildeten Reserven Gewinnreserven oder KER darstellen.<a title="" href="#_ftn4" name="_ftnref4">⁰⁴</a> Dies hat zur Folge, dass auch die R&uuml;ckzahlung von importierten KER nicht von der Verrechnungssteuer erfasst ist.<a title="" href="#_ftn5" name="_ftnref5">⁰⁵</a> Umgekehrt unterliegen die importierten Gewinnreserven aber neu latent der Verrechnungssteuer. Grundlage hierf&uuml;r ist die Bestimmung von <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_4" target="_blank" rel="noopener">Art. 4 Abs. 1 Verrechnungssteuergesetz</a> (VStG), die nicht danach unterscheidet, ob die Gewinnreserven vor oder nach dem Zuzug entstanden sind.</p> <p>Dies ist bereits insofern problematisch, als das Steuerrecht eines Wegzugsstaats die Sitzverlegung regelm&auml;ssig einer Liquidation gleichstellt (Liquidationsfiktion) und somit die (offenen und verdeckten) Gewinnreserven besteuert werden. Eine solche Regelung enth&auml;lt auch die Schweiz in <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_4" target="_blank" rel="noopener">Art. 4 Abs. 2 VStG</a>. So wird die Verlegung des Sitzes einer schweizerischen Aktiengesellschaft, GmbH oder Genossenschaft ins Ausland steuerlich der Liquidation der Gesellschaft gleichgestellt.</p> <p>Diese Doppelbesteuerungsproblematik k&ouml;nnte unter Umst&auml;nden bereits durch eine systematische Auslegung der unilateralen Regelungen vermieden werden. Zieht man eine Analogie zur steuerlichen Behandlung der Sitzverlegung ins Ausland, die steuerrechtlich als Liquidation behandelt wird, muss der Zuzug ins Inland als eine Neugr&uuml;ndung behandelt werden, sodass die gesamten (oder zumindest die handelsrechtlich offen ausgewiesenen) Reserven per se Einlagen der Aktion&auml;re darstellen und bei Aussch&uuml;ttung entsprechend von der Verrechnungssteuer ausgenommen sind.<a title="" href="#_ftn6" name="_ftnref6">⁰⁶</a> Dass der Wortlaut von <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_5" target="_blank" rel="noopener">Art. 5 Abs. 1^bis VStG</a> hier an die separate Verbuchung von KER spezifisch in der Handelsbilanz ankn&uuml;pft, spricht nach Auffassung der Autoren nicht gegen diesen Ansatz, da der Wortlaut einer Norm dort zur&uuml;ckzutreten hat, wo er wie hier ein systematisch nicht haltbares Ergebnis bewirkt. Mag das Ankn&uuml;pfen an die Handelsbilanz im reinen Binnensachverhalt sachgerecht sein, ist dies in einem Zuzugsfall, welchen der Gesetzgeber bei Verabschiedung der Bestimmung kaum in dieser Form im Blickfeld gehabt haben d&uuml;rfte, unter Umst&auml;nden da nicht sachgerecht, wo das Handelsrecht eine Verbuchung als KER nicht zulassen sollte. In diesem Fall muss die Erstellung einer speziellen Steuerbilanz auch f&uuml;r Verrechnungssteuerzwecke erlaubt sein.</p> <p>Vor diesem Hintergrund d&uuml;rfte sich die Altreservenfrage f&uuml;r importierte Reserven von Vornherein nicht stellen. Wie nachfolgend aufgezeigt wird, d&uuml;rfte die Anwendung der Altreservenpraxis in F&auml;llen wie dem Vorliegenden aber auch anhand ihrer eigenen Voraussetzungen scheitern.</p> <h2>4. &Uuml;bersicht &uuml;ber die Altreservenproblematik</h2> <h3>4.1 Verbesserung der R&uuml;ckerstattungsposition</h3> <p>Ausgangspunkt der Altreservenproblematik ist stets eine Ver&auml;nderung resp. Verbesserung im Umfang der R&uuml;ckerstattungsberechtigung (sog. Regimewechsel).</p> <p>Traditioneller Anwendungsfall der Altreservenpraxis ist die Konstellation, in welcher eine Beteiligung konzernintern von einer nicht oder nur beschr&auml;nkt r&uuml;ckerstattungsberechtigten Gruppengesellschaft auf eine Gruppengesellschaft mit einer besseren R&uuml;ckerstattungsposition &uuml;bertragen wird.<a title="" href="#_ftn7" name="_ftnref7">⁰⁷</a></p> <p>Beispiel: Die DBA-berechtigte M Inc. mit Sitz in den USA &uuml;bertr&auml;gt ihre Schweizer Tochtergesellschaft T AG auf ihre niederl&auml;ndische Tochtergesellschaft C BV. <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1999/223/de#art_10" target="_blank" rel="noopener">Art. 10 Abs. 2 lit. a DBA-USA</a> erlaubt in Bezug auf Dividendenaussch&uuml;ttungen eine verbleibende Sockelsteuerbelastung im Quellenstaat in H&ouml;he von 5%. Demgegen&uuml;ber sieht <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2011/724/de#art_10" target="_blank" rel="noopener">Art. 10 Abs. 3 lit. a DBA-NL</a> eine vollst&auml;ndige Quellensteuerentlastung vor. Somit liegt eine Verbesserung der R&uuml;ckerstattungsposition vor.</p> <p><img src="https://images.ctfassets.net/bgpaxzxi3eyz/3k7GZV5gdomatFsimboCYW/c22fdcef1e5c73a1d2dccb01efb64959/A9_Band_2-2021_GrafikRZ16.png" alt="zsis zentrum schweizerisches und internationales steuerrecht tobias rohner selina many sitzverlegung schweiz altreservenpraxis" width="930" height="419" /></p> <h3>4.2 Nichtbetriebsnotwenige, handelsrechtlich aussch&uuml;ttbare Mittel</h3> <p>Die Altreservenpraxis greift allerdings nur, sofern und soweit die &uuml;bertragene Beteiligung zum &Uuml;bertragungszeitpunkt resp. gem&auml;ss letztem handelsrechtlichem Jahresabschluss &uuml;ber aussch&uuml;ttungsf&auml;hige Reserven verf&uuml;gt, welchen eindeutig nicht betriebsnotwendige resp. liquide Mittel gegen&uuml;berstehen.</p> <p>Die aussch&uuml;ttungsf&auml;higen Reserven m&uuml;ssen dabei latent verrechnungssteuerbelastet sein. Nicht darunter fallen somit KER.</p> <p>Im Beispiel der T AG gestaltet sich das Bilanzbild gem&auml;ss letztem statutarischem Abschluss wie folgt:</p> <p>Somit k&ouml;nnten bei der T AG 400 potenziell als Altreserven qualifizieren.<a title="" href="#_ftn8" name="_ftnref8">⁰⁸</a></p> <p><img src="https://images.ctfassets.net/bgpaxzxi3eyz/7mOljrHepZ4ROFIHgpZeUw/b779fdd41b283c7b7183e6ad79cb1c78/A9_Band_2-2021_GrafikRZ21.png" alt="zsis zentrum schweizerisches und internationales steuerrecht tobias rohner selina many sitzverlegung schweiz altreservenpraxis" width="930" height="186" /></p><p>Dahinter verbirgt sich der Gedanke, dass eine Gesellschaft nicht betriebsnotwendige, handelsrechtlich aussch&uuml;ttbare Mittel auszahlen k&ouml;nnte und sollte und ein davon abweichendes Verhalten nur dadurch erkl&auml;rt werden kann, dass die Aktion&auml;rinnen (resp. deren Mehrheit<a title="" href="#_ftn9" name="_ftnref9">⁰⁹</a>) die Verrechnungssteuerbelastung vermeiden (umgehen) m&ouml;chten.</p> <h3>4.3 Steuerumgehungsvorbehalt als Grundlage der Altreservenpraxis</h3> <h4>4.3.1 Allgemeine Grundlagen</h4> <p>Bei der Altreservenpraxis handelt es sich nicht um einen gesetzlich normierten Tatbestand. Vielmehr gr&uuml;ndet er auf dem Vorbehalt des Rechtsmissbrauchs resp. der Steuerumgehung. F&uuml;r die R&uuml;ckerstattungsberechtigung in unilateralen Sachverhalten ist er in Form des Steuerumgehungsvorbehalts in <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_21" target="_blank" rel="noopener">Art. 21 Abs. 2 VStG</a> explizit erw&auml;hnt. Weniger klar und entsprechend umstritten ist die Rechtsgrundlage im internationalen Verh&auml;ltnis. Aus praktischer Sicht ist die rechtliche Grundlage des Steuerumgehungsvorbehalts bei der Pr&uuml;fung der R&uuml;ckerstattungsberechtigung allerdings in der Regel nicht von entscheidender Bedeutung, da gem&auml;ss Rechtsprechung die Merkmale einer Steuerumgehung im internationalen Verh&auml;ltnis grunds&auml;tzlich dieselben sind.<a title="" href="#_ftn10" name="_ftnref10">¹⁰</a></p> <p>Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung wird eine Steuerumgehung bejaht, &laquo;wenn (a) eine von den Beteiligten gew&auml;hlte Rechtsgestaltung als ungew&ouml;hnlich (&laquo;insolite&raquo;), sachwidrig oder absonderlich, jedenfalls den wirtschaftlichen Gegebenheiten v&ouml;llig unangemessen erscheint (objektives Element), wenn zudem (b) anzunehmen ist, dass die gew&auml;hlte Rechtsgestaltung missbr&auml;uchlich lediglich deshalb getroffen wurde, um Steuern einzusparen, die bei sachgem&auml;sser Ordnung der Verh&auml;ltnisse geschuldet w&auml;ren (Umgehungsabsicht; subjektives Element), und wenn (c) das gew&auml;hlte Vorgehen tats&auml;chlich zu einer erheblichen Steuerersparnis f&uuml;hren w&uuml;rde, sofern es von der Steuerbeh&ouml;rde hingenommen w&uuml;rde (effektives Element).&raquo;<a title="" href="#_ftn11" name="_ftnref11">¹¹</a></p> <p>Das Vorliegen einer Steuerumgehung ist jeweils einzelfallbezogen zu pr&uuml;fen. Gem&auml;ss Bundesgericht kommt eine Steuerumgehung nur in ganz ausserordentlichen Situationen in Frage, wenn eine Rechtsgestaltung vorliegt, die - abgesehen von den steuerlichen Aspekten - jenseits des wirtschaftlich Vern&uuml;nftigen liegt. Mithin bleibt die Annahme einer Steuerumgehung ausgeschlossen, wenn andere Gr&uuml;nde als blosse Steuerersparnisgr&uuml;nde bei der Rechtsgestaltung eine relevante Rolle spielen.<a title="" href="#_ftn12" name="_ftnref12">¹²</a></p> <h4>4.3.2 Besondere Grundlagen</h4> <p>Neben dem generellen Missbrauchsvorbehalt, der gem&auml;ss bundesgerichtlicher Rechtsprechung jedem DBA immanent ist, ist im Einzelfall sodann jeweils zu pr&uuml;fen, ob das in Frage stehende DBA eine eigene, speziellere und gegebenenfalls weitergehende Missbrauchsregelung kennt.<a title="" href="#_ftn13" name="_ftnref13">¹³</a> Dies war etwa der Fall im aDBA-USA in der Fassung von 1951, welches beim ersten h&ouml;chstrichterlich beurteilten Altreservenfall aus dem Jahr 1996 einschl&auml;gig war. Dem Urteil<a title="" href="#_ftn14" name="_ftnref14">¹⁴</a> lag im Wesentlichen der folgende Sachverhalt zugrunde:</p> <p>Die schweizerische S. AG wurde von den in den USA ans&auml;ssigen Gesellschaften W. Co und Q. Co gehalten, wobei die W. Co &uuml;ber 60% und die Q. Co. &uuml;ber 40% der Aktien hielten. W. Co und Q. Co waren vollst&auml;ndig im Besitz der in den USA ans&auml;ssigen C. Co. Nachdem die S. AG ein Gesuch gegen&uuml;ber der ESTV stellte, es sei auf Dividenden der S. AG der residuale Verrechnungssteuersatz von 5% anzuwenden, da die S. AG zu 100% von der C. Co beherrscht werde und dieses Gesuch abgelehnt wurde, wurden die Aktien der S. AG an die C. Co &uuml;bertragen.</p> <p>Art. VI Abs. 2 Satz 2 aDBA-USA (1951) lautete damals wie folgt:</p> <blockquote>&laquo;Ist indessen der Aktion&auml;r eine Gesellschaft, die unmittelbar oder mittelbar &uuml;ber mindestens 95 Prozent der Stimmrechte in der dividendenzahlenden Gesellschaft verf&uuml;gt, und stammen nicht mehr als 25 Prozent des Bruttoeinkommens der dividendenzahlenden Gesellschaft von andern Zinsen und Dividenden als den von ihren eigenen Tochtergesellschafen ausgerichteten, so soll der Steuersatz 5 Prozent nicht &uuml;bersteigen. Die Herabsetzung des Steuersatzes auf 5 Prozent soll jedoch nicht Platz greifen, wenn die Verbindung der beiden Gesellschaften in erster Linie in der Absicht hergestellt worden ist oder beibehalten wird, um sich diesen Vorteil zu sichern.&raquo;</blockquote> <p>Das Bundesgericht erwog, dass die &Uuml;bertragung der Aktien der S. AG an die C. Co vorwiegend zum Zweck der Steuererm&auml;ssigung erfolgt war, auch wenn nicht allein steuerliche Motive ausschlaggebend waren. Eine R&uuml;ckerstattung der Verrechnungssteuer auf den bereits bestehenden Reserven sei daher durch den Wortlaut der Abkommensbestimmung ausgeschlossen.</p> <p>Hingegen verneinte das Bundesgericht explizit das Vorliegen einer Steuerumgehung oder eines Missbrauchs mit der Begr&uuml;ndung, ein absonderliches, dem wirtschaftlichen Sachverhalt nicht entsprechendes Verhalten k&ouml;nne in der erfolgten Umstrukturierung nicht erblickt werden.</p> <p>Solche spezielleren Missbrauchsbestimmungen werden insk&uuml;nftig mit Einf&uuml;hrung des Principal-Purpose-Tests im Rahmen vieler neuverhandelten DBAs sowie durch Umsetzung des <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2020/486/de" target="_blank" rel="noopener">BEPS-&Uuml;bereinkommens</a> h&auml;ufiger anzutreffen sein, wobei sich deren tats&auml;chliche Tragweite in der Praxis noch zeigen m&uuml;ssen wird.<a title="" href="#_ftn15" name="_ftnref15">¹⁵</a></p> <h4>4.3.3 Tats&auml;chliche Steuerersparnis (effektives Element)</h4> <p>Auch wenn das effektive Element in der gebetsm&uuml;hlenartig wiederholten bundesgerichtlichen Steuerumgehungsformel stets am Schluss genannt wird, stellt es eigentlich die &laquo;Einstiegsluke&raquo; f&uuml;r die Steuerumgehungs- resp. Missbrauchspr&uuml;fung dar.</p> <p>Im Zusammenhang mit der Altreservenproblematik ist das effektive Element traditionell gegeben, wenn ein Regimewechsel, also eine Verbesserung der R&uuml;ckerstattungsposition, sowie das entsprechende latent verrechnungssteuerbelastete Substrat vorliegt. Ohne einen solchen g&uuml;nstigen Regimewechsel er&uuml;brigt sich aus verrechnungssteuerlicher Sicht grunds&auml;tzlich die Altreservenpr&uuml;fung.</p> <h4>4.3.4 Absonderliches resp. missbr&auml;uchliches Verhalten (objektives Element)</h4> <p>Bislang wurden nicht mehr als eine Handvoll Altreservef&auml;lle den Gerichten und insbesondere dem Bundesgericht zur Pr&uuml;fung vorgelegt. Entsprechend schwierig gestaltet sich die klare Erfassung des als absonderlich resp. missbr&auml;uchlich einzustufenden Verhaltens, welches als objektives Element Voraussetzung einer jeden Steuerumgehung ist.</p> <p>Immerhin kann gesagt werden, dass die publizierten F&auml;lle, bei welchen eine Steuerumgehung bejaht wurde, stets mehr an sich hatten als bloss die Tatsache, dass eine Verbesserung der R&uuml;ckerstattungsposition erfolgte. Eine potenzielle Ver&auml;nderung der R&uuml;ckerstattungsberechtigung ist n&auml;mlich jedem Aktion&auml;rswechsel inh&auml;rent. Hier ist eine klare Abgrenzung zur Pr&uuml;fung des &laquo;effektiven&raquo; Elements der Steuerumgehung erforderlich.</p> <p>Gewisse Schl&uuml;sse lassen sich insbesondere aus einem neueren <a href="https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/aza/http/index.php?highlight_docid=aza%3A%2F%2F20-04-2020-2C_354-2018&amp;lang=de&amp;type=show_document&amp;zoom=YES&amp;" target="_blank" rel="noopener">Urteil des Bundesgerichts vom 20. April 2020</a> ziehen.<a title="" href="#_ftn16" name="_ftnref16">¹⁶</a> Der Fall betraf die R&uuml;ckerstattungsberechtigung einer neuen Aktion&auml;rin (A.), welche ihre Beteiligung an einer Schweizer Gesellschaft (F.) von einer verbundenen Gesellschaft erworben hatte. Die F. verf&uuml;gte zum Zeitpunkt der &Uuml;bertragung &uuml;ber erhebliche liquide Mittel und handelsrechtlich aussch&uuml;ttungsf&auml;hige Reserven. Der Beteiligungserwerb wurde grossmehrheitlich durch ein Darlehen der Muttergesellschaft der A. fremdfinanziert. Als Grund f&uuml;r den Beteiligungserwerb f&uuml;hrte die A. wirtschaftliche Motive an, n&auml;mlich die Ansiedlung der Forschungs- und Entwicklungsfunktionen bei der A, in deren Bereich auch die F. t&auml;tig war.</p> <p>Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass das von der A. geltend gemachte wirtschaftliche Ziel nicht erkl&auml;re, weshalb sie sich stark verschuldete, um mit diesem Fremdkapital letztlich die liquiden, latent verrechnungssteuerbelasteten Mittel der F. zu kaufen. Es w&auml;re f&uuml;r alle Beteiligten wesentlich einfacher gewesen und h&auml;tte zum selben wirtschaftlichen Resultat gef&uuml;hrt, wenn die F. diese Mittel stattdessen unmittelbar vor der &Uuml;bertragung der Beteiligung an die bisherige Aktion&auml;rin ausgesch&uuml;ttet h&auml;tte, die so an Stelle einer Kaufpreiszahlung einen Liquidit&auml;tszugang in Form einer Dividende verzeichnet h&auml;tte. Vor diesem Hintergrund erscheine der gew&auml;hlte Weg als absonderlich und die Rechtsgestaltung als k&uuml;nstlich.<a title="" href="#_ftn17" name="_ftnref17">¹⁷</a></p> <p>In der Lehre wurde aus dem zitierten Urteil zuweilen der Schluss gezogen, dass das absonderliche resp. missbr&auml;uchliche Verhalten in der Thesaurierung der Gewinne zu erblicken ist.<a title="" href="#_ftn18" name="_ftnref18">¹⁸</a> Diese Leseart erscheint aber aus Sicht der Autoren etwas verk&uuml;rzt. Zwar ist die Gewinnthesaurierung durchaus ein gewichtiges Indiz. Als genauso entscheidend gewertet werden muss aber, dass die Erwerberin erhebliche Fremdmittel aufnehmen musste, um die Folgen dieser Gewinnthesaurierung stemmen zu k&ouml;nnen, obwohl in diesem Fall (anders als bei einer Dritttransaktion) kaum davon ausgegangen werden konnte, dass die ver&auml;ussernde Gesellschaft im Rahmen einer konzerninternen Umstrukturierung den Verkauf ansonsten absagen w&uuml;rde. Mithin musste ohne Not eine weitere Partei (nahestehende Darlehensgeberin) involviert werden, um die Transaktion verwirklichen zu k&ouml;nnen; dies geschah sodann innerhalb desselben Konzerns.</p> <p>Daf&uuml;r, dass die Gewinnthesaurierung f&uuml;r sich alleine genommen noch nicht per se als absonderliches Verhalten einzustufen ist, spricht auch, dass das Bundesgericht im selben Urteil betont, dass das Vorliegen einer Steuerumgehung immer anhand der konkreten Umst&auml;nde eines Einzelfalls zu beurteilen und nur in Ausnahmesituationen anzunehmen ist.<a title="" href="#_ftn19" name="_ftnref19">¹⁹</a> So d&uuml;rfte es gerade bei im Rahmen privater Verm&ouml;gensverwaltung gehaltenen Gesellschaften relativ h&auml;ufig vorgekommen sein, dass gr&ouml;ssere Liquidit&auml;tsreserven aufgebaut wurden, da noch nicht klar war, ob und wie diese anderswo gerade besser h&auml;tten eingesetzt werden k&ouml;nnen. Entsprechend wurde mit der &laquo;Verschiebung&raquo; resp. Repatriierung der Mittel lieber zugewartet, da diese auch mit administrativem Zusatzaufwand verbunden gewesen w&auml;re. Generell konnte die leichtfertige Repatriierung liquider Mittel aus der Schweiz sodann auch im Ausland zu von den Verrechnungssteuerfragen unabh&auml;ngigen, unerw&uuml;nschten Steuerfolgen f&uuml;hren (bspw. im Falle von US-amerikanische Konzernstrukturen, insbesondere vor der US-Steuerreform).</p> <p>In seinem Urteil vom 16. August 1996 hielt das Bundesgericht explizit fest, dass keine Steuerumgehung resp. kein Missbrauch vorlag. Da das effektive Element (Steuerersparnis) sowie das subjektive Element (Absicht) gem&auml;ss gerichtlichen Feststellungen gegeben waren, kann nur gefolgert werden, dass das Bundesgericht in der vorangegangenen Gewinnthesaurierung und nachfolgenden Beteiligungs&uuml;bertragung allein kein absonderliches Verhalten erblickte.</p> <p>Zum selben Schluss f&uuml;hrt ein Blick in die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in mehreren F&auml;llen:</p> <ul> <li>Das <a href="https://entscheide.weblaw.ch/cache.php?link=23-03-2010-a-2744-2008&amp;sel_lang=de" target="_blank" rel="noopener">Urteil vom 23. M&auml;rz 2010</a><a title="" href="#_ftn20" name="_ftnref20">²⁰</a> betraf eine Haltestruktur, welche auf zwei unmittelbar aufeinanderfolgende Ver&auml;usserungen zur&uuml;ckzuf&uuml;hren war und in welchen eine Steuerumgehung resp. ein Abkommensmissbrauch letztlich bejaht wurde. In beiden Ver&auml;usserungsgesch&auml;ften hatte sich die K&auml;uferschaft jeweils verpflichtet, die Zielgesellschaft in einen liquiden Zustand zu versetzen. Sodann hatte die Zielgesellschaft der neuen Muttergesellschaft kurz nach deren Erwerb ein Darlehen gew&auml;hrt, welches rund 70% der Aktiven der Zielgesellschaft ausmachte.<a title="" href="#_ftn21" name="_ftnref21">²¹</a></li> <li>Im <a href="https://entscheide.weblaw.ch/cache.php?link=18-05-2016-A-5673-2015" target="_blank" rel="noopener">Urteil vom 18. Mai 2016</a><a title="" href="#_ftn22" name="_ftnref22">²²</a> ging es um eine Zielgesellschaft, welche durch eine K&auml;ufergesellschaft ohne eigene Liquidit&auml;t erworben wurde. Zur Finanzierung des Kaufs gew&auml;hrte die die Zielgesellschaft der K&auml;ufergesellschaft wenige Tage vor der Transaktion ein (unbesichertes) Darlehen, welches sich in vergleichbarer H&ouml;he zum Kaufpreis bewegte. Das Urteil wurde durch das Bundesgericht best&auml;tigt.<a title="" href="#_ftn23" name="_ftnref23">²³</a> Zu beachten ist, dass die Altreservenfrage im beschriebenen Urteil nicht abschliessend zu beurteilen war: Streitig war lediglich die Gew&auml;hrung des Meldeverfahrens, f&uuml;r dessen Verweigerung bereits Anhaltspunkte f&uuml;r eine Steuerumgehung resp. einen Abkommensmissbrauch ausreichen. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht bejaht. Ein eigentlicher Nachweis der Steuerumgehung war in diesem Verfahrensstadium hingegen noch nicht erforderlich.</li> <li>Im <a href="https://entscheide.weblaw.ch/cache.php?link=31-08-2016-A-5692-2015" target="_blank" rel="noopener">Urteil vom 31. August 2016</a><a title="" href="#_ftn24" name="_ftnref24">²⁴</a> behandelte das Bundesverwaltungsgericht einen Fall, in welchem die zypriotische Aktion&auml;rin der Zielgesellschaft durch deren im Ausland ans&auml;ssigen wirtschaftlich Berechtigten X. ver&auml;ussert worden war, wobei die besagte zypriotische Aktion&auml;rin die Aktien der Zielgesellschaft kurz danach zum Nominalwert an eine andere, estnische Gesellschaft von X. verkaufte. Als die Zielgesellschaft in Bezug auf Dividenden an die neue estnische Aktion&auml;rin das Meldeverfahren beantragte, erwog das Bundesverwaltungsgericht wiederum, dass zumindest Indizien f&uuml;r eine Steuerumgehung resp. einen Abkommensmissbrauch best&uuml;nden.</li> <li>In einem neueren <a href="https://jurispub.admin.ch/publiws/download?decisionId=054c5b06-fbff-426a-93e8-05f5cad6f91c" target="_blank" rel="noopener">Urteil vom 1. Dezember 2020</a><a title="" href="#_ftn25" name="_ftnref25">²⁵</a> wurde das Vorliegen einer Steuerumgehung resp. eines Abkommensmissbrauchs trotz vorhandener Altreserven verneint. Dabei ging es um eine Gesellschaft, welche eine schweizerische K&auml;ufergesellschaft von einem nicht abkommensberechtigten ausl&auml;ndischen Aktion&auml;r erworben hatte. Der Kauf wurde fremdfinanziert. F&uuml;nf Jahre sp&auml;ter sch&uuml;ttete die Zielgesellschaft eine Dividende aus, wobei die ESTV die Verrechnungssteuerentlastung verweigerte. Das Bundesverwaltungsgericht hiess die hiergegen gerichtete Beschwerde gut und bejahte die R&uuml;ckerstattungsberechtigung. So erkannte es einerseits, dass der Erwerb der schweizerischen Gesellschaft in das Expansionsmodell der neuen Aktion&auml;rin passte. Sodann sei eine lange Zeitspanne zwischen Erwerb und Dividendenaussch&uuml;ttung vergangen. Schliesslich habe die ESTV auch nicht aufzeigen k&ouml;nnen, inwiefern die Fremdfinanzierung vorliegend ungew&ouml;hnlich sei oder inwiefern bei der (vorliegend unabh&auml;ngigen Dritt-) Erwerberin eine Absicht der Steuerersparnis vorliege.<a title="" href="#_ftn26" name="_ftnref26">²⁶</a></li> </ul> <p>Zusammengefasst zeigt die Rechtsprechung, dass die Gewinnthesaurierung f&uuml;r sich betrachtet noch kein absonderliches Verhalten darstellt. Vielmehr gab es stets hinzutretende Elemente, welche in aussergew&ouml;hnlichen F&auml;llen den Ausschlag zur Annahme eines absonderlichen Vorgehens gaben.</p> <h4>4.3.5 Absicht der Steuerersparnis (subjektives Element)</h4> <p>Das subjektive Element erweist sich insofern als entscheidend, als die Annahme einer Steuerumgehung ausgeschlossen bleibt, wenn andere als blosse Steuerersparnisgr&uuml;nde bei der Rechtsgestaltung eine relevante Rolle spielen.<a title="" href="#_ftn27" name="_ftnref27">²⁷</a> Ob jemandem eine entsprechende Absicht vorzuwerfen ist, muss naturgem&auml;ss anhand objektiver Gegebenheiten (Indizien) ermittelt werden.<a title="" href="#_ftn28" name="_ftnref28">²⁸</a></p> <p>Fraglich erscheint, ob rein aufgrund eines l&auml;ngeren Zuwartens mit der Aussch&uuml;ttung von nicht (unmittelbar) betriebsnotwendigen Liquidit&auml;tsreserven auf eine Steuerumgehungsabsicht geschlossen werden darf. Dass ein l&auml;ngeres Zuwarten mit einer Aussch&uuml;ttung von Liquidit&auml;tsreserven durchaus auch wirtschaftlich gerechtfertigt sein kann, zeigen neben den voranstehend aufgezeigten Gr&uuml;nden nicht zuletzt die staatlich verb&uuml;rgten COVID-Kredite, deren Einf&uuml;hrung pandemiebedingt notwendig wurde. Die ESTV scheint in ihrer Praxis (im Rahmen der Pr&uuml;fung des Vorhandenseins von Altreserven) zwar die Berechtigung von Liquidit&auml;tsreserven f&uuml;r zuk&uuml;nftige Ausgaben zwar durchaus anzuerkennen. Dem Vernehmen nach verlangt sie hierf&uuml;r allerdings die Vorlage konkreter Planungsdokumentationen.<a title="" href="#_ftn29" name="_ftnref29">²⁹</a> Angesichts der verfassungsrechtlich garantierten Wirtschaftsfreiheit und nicht zuletzt auch aufgrund der Tatsache, dass die ESTV f&uuml;r die Annahme einer Steuerumgehung resp. eines Missbrauchs beweisbelastet ist, erscheint dieser Ansatz jedoch problematisch.</p> <p>Sodann ist nach Auffassung der Autoren stets zu pr&uuml;fen, wer wirtschaftlich betrachtet von der eingesparten Verrechnungssteuerbelastung profitieren w&uuml;rde. Nur bei einer solchen Partei kann normalerweise &uuml;berhaupt von einer Absicht der Steuerersparnis gesprochen werden. Insbesondere in Zusammenhang mit Dritttransaktionen d&uuml;rfte daher die von der ESTV sehr extensiv angewandte Altreservenpraxis in der Regel nicht greifen, sofern nicht zus&auml;tzliche eindeutige Indizien daf&uuml;r sprechen, dass die erwerbende Partei gerade auch zu Steuerersparniszwecken der ver&auml;ussernden Partei an einer absonderlichen Gestaltung teilgenommen hat. Dass zum Beteiligungserwerb allenfalls auch eine (externe) Fremdfinanzierung eingeholt werden muss, ist in dieser Konstellation f&uuml;r sich genommen nicht ausreichend, wie das Bundesverwaltungsgericht in seinem <a href="https://jurispub.admin.ch/publiws/download?decisionId=054c5b06-fbff-426a-93e8-05f5cad6f91c" target="_blank" rel="noopener">Urteil vom 1. Dezember 2020</a> festgehalten hat.<a title="" href="#_ftn30" name="_ftnref30">³⁰</a> F&uuml;r den unabh&auml;ngigen Dritterwerber bietet sich n&auml;mlich weder individuell noch innerhalb des Konzerns ein steuerlicher Vorteil durch ein solches Vorgehen. Es ist insofern nicht ersichtlich, wieso ein aussenstehender Dritterwerber letztlich im Verh&auml;ltnis zur ESTV eine Verrechnungssteuerbelastung tragen soll, die er weder verursacht noch selbst zu vermeiden beabsichtigt hat.<a title="" href="#_ftn31" name="_ftnref31">³¹</a></p> <h3>4.4 Folge der Altreservenpraxis</h3> <p>Sofern tats&auml;chlich eine Steuerumgehung resp. ein Abkommensmissbrauch aufgrund vorhandener Altreserven vorliegt, verweigert die ESTV traditionell so lange die Verrechnungssteuerr&uuml;ckerstattung im Umfang der Satzverbesserung, bis die bestehenden Altreserven ausgesch&uuml;ttet sind.<a title="" href="#_ftn32" name="_ftnref32">³²</a> Danach gew&auml;hrt sie die angestrebte R&uuml;ckerstattung, sofern die &uuml;blichen Voraussetzungen erf&uuml;llt sind.</p> <p>In Bezug auf Entlastungsantr&auml;ge basierend auf <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2005/444/de#art_9" target="_blank" rel="noopener">Art. 9 des Abkommens &uuml;ber den automatischen Informationsaustausch &uuml;ber Finanzkonten zur F&ouml;rderung der Steuerehrlichkeit bei internationalen Sachverhalten mit der EU</a> (AIA-A EU)<a title="" href="#_ftn33" name="_ftnref33">³³</a> hat das Bundesgericht in seinem <a href="https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/aza/http/index.php?highlight_docid=aza%3A%2F%2F20-04-2020-2C_354-2018&amp;lang=de&amp;type=show_document&amp;zoom=YES&amp;" target="_blank" rel="noopener">Urteil vom 20. April 2020</a><a title="" href="#_ftn34" name="_ftnref34">³⁴</a> in Anlehnung an die Rechtsprechung des EuGH allerdings entschieden, dass diesbez&uuml;glich die Entlastung auf bestehenden Altreserven nicht nur im Umfang der Satzverbesserung sondern vollst&auml;ndig zu verweigern ist. Die Tragweite dieses Urteils erstreckt sich aber (zumindest bisher) lediglich auf F&auml;lle unter dem AIA-A EU. In Bezug auf DBA-Sachverhalte bleibt die Entlastungsverweigerung durch die ESTV auf die tats&auml;chliche Satzverbesserung beschr&auml;nkt.<a title="" href="#_ftn35" name="_ftnref35">³⁵</a> Dasselbe d&uuml;rfte auch auf internrechtliche Konstellationen (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_21" target="_blank" rel="noopener">Art. 21 Abs. 2 VStG</a>) zutreffen.</p> <h2>5. Schlussfolgerungen f&uuml;r den Praxisfall</h2> <p>Wie bereits in Abschnitt 3 vorstehend ausgef&uuml;hrt, d&uuml;rfte es bei Immigrationen mangels steuerlicher Erfassung der importierten Reserven von Vornherein keine Altreservenf&auml;lle geben.</p> <p>Doch selbst wenn man der hier vertretenen steuersystematischen Auslegeordnung nicht folgen wollte, darf der Sinn und Zweck von Missbrauchsvorbehalten jeglicher Art nicht aus den Augen verloren werden: Sie stellen lediglich einen &laquo;last resort&raquo; dar, um den eindeutig nicht vom Gesetzgeber beabsichtigten Entzug von Steuersubstrat zu verhindern. Die Rechtsprechung zeigt eindr&uuml;cklich, dass eine Steuerumgehung resp. ein Rechtsmissbrauch in Zusammenhang mit Altreserven nur in Ausnahmesituationen angenommen werden darf. Entsprechend geht die Ausweitung der Steuerumgehungsdoktrin auf importierte Reserven entschieden zu weit.</p> <p>Dies gilt umso mehr f&uuml;r F&auml;lle wie den Vorliegenden, bei dem der Sitz der Gesellschaft im Rahmen einer gr&ouml;sseren Umstrukturierung in die Schweiz verlegt wurde. Ziel dieser war, die europ&auml;ischen Gesellschaften unter eine in den Niederlanden ans&auml;ssige Zwischenholding zu bringen. Dass zun&auml;chst &uuml;berhaupt eine (finale) latente Verrechnungssteuerbelastung geschaffen wurde, indem zuerst eine Sitzverlegung in die Schweiz beschlossen wurde, war eher zuf&auml;llig bzw. transaktional bedingt. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern bewusst (d.h. absichtlich) zuerst Gewinne thesauriert und sodann der schweizerischen Verrechnungssteuer in missbr&auml;uchlicher Weise entzogen worden w&auml;ren.^{<a title="" href="#_ftn36" name="_ftnref36">36</a>} Sodann kam hier auch kein weiteres Element hinzu, welches auf eine Steuerumgehung hindeuten k&ouml;nnte, wie etwa eine kurzfristige Aussch&uuml;ttung oder eine ungew&ouml;hnliche Fremdfinanzierung der Transaktion. Eine Verweigerung der vollst&auml;ndigen Verrechnungssteuerentlastung w&auml;re damit ausgeschlossen.</p></article>