<article class="rz"><h2>1. Einleitung</h2>
<p>Die Schweizer Gesetzgebung enthält eine Vielzahl steuerstrafrechtlicher Bestimmungen, die in unterschiedlichen Gesetzen verankert sind. Diese Bestimmungen erfassen nicht nur die steuerpflichtigen Personen selbst, sondern weiten die Verantwortlichkeit auch auf Drittpersonen aus, die im Steuerverfahren eine aktive Rolle spielen. Neben dem Haupttäter können auch Gehilfen und Anstifter strafrechtlich verfolgt und zur Verantwortung gezogen werden. Damit sind sowohl Organe juristischer Personen als auch Mitarbeitende, die mit den steuerlichen Belangen eines Unternehmens betraut sind, sowie externe Berater steuerstrafrechtlichen Risiken ausgesetzt. Diese Risiken sind insbesondere im Zusammenspiel zwischen unternehmensinternen Steuerverantwortlichen und externen Beratern sorgfältig zu beachten. Das zeigen zwei kürzlich ergangene Entscheide des Bundesgerichts.</p>
<p>Die Folgen einer strafrechtlichen Verurteilung sind für Angehörige dieser Berufsgruppen erheblich. Ein Schuldspruch kann nicht nur eine persönliche strafrechtliche Verantwortlichkeit begründen, sondern auch disziplinarrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen wie beispielsweise zum Ausschluss aus Berufskammern wie EXPERTsuisse, der Treuhändervereinigung oder dem Anwaltsverband führen.<a title="" href="#_ftn1" name="_ftnref1"><sup>01</sup></a> Im schlimmsten Fall kann dies sogar in einem Berufsverbot enden. Zivilrechtlich drohen zudem Schadenersatzansprüche geschädigter Mandanten.</p>
<p>Im Urteil 6B_90/2024 vom 3. Februar 2025 setzte sich das Gericht mit der strafrechtlichen Mitverantwortung eines für die Steuern zuständigen unternehmensinternen Funktionsträgers auseinander. Zeitgleich behandelte es im Urteil 6B_93/2024 die steuerstrafrechtliche Verantwortung eines externen Steuerberaters im Zusammenhang mit der ordnungsgemässen Deklaration und Bezahlung der Verrechnungssteuer. Beide Entscheide betreffen die ordnungsgemässe Deklaration und Bezahlung der Verrechnungssteuer. Sie werfen grundlegende Fragen zur Grenze zwischen zulässiger Steuerberatung und strafbarem Verhalten sowie zu den Sorgfaltspflichten auf.</p>
<p>Nachfolgend werden zunächst der den beiden Urteilen zu Grunde liegende Sachverhalt dargestellt und die wesentlichen Erwägungen des Bundesgerichts zusammengefasst. Darauf aufbauend folgt eine kritische Auseinandersetzung der Entscheidungen unter Einbezug der relevanten rechtlichen Grundlagen. Abschliessend werden die praktischen Implikationen der Urteile beleuchtet.</p>
<h2>2. BGer-Urteile 6B_90/2024 & 6B_93/2024: Strafbarkeit von Controller und Berater bei Verrechnungssteuerhinterziehung</h2>
<h3><strong>2.1 </strong><strong>Sachverhalt</strong></h3>
<p>B.<a title="" href="#_ftn2" name="_ftnref2"><sup>02</sup></a> verfügt über einen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften. Am 1. Februar 2010 trat er in die Dienste der C. AG ein, wo er zunächst die Position des «Operation Manager» und ab November 2011 als «Business Controller» innehatte. Die C. AG mit Sitz im Kanton Waadt bezweckt das Halten und Verwalten von Immobilien und betreibt an mehreren Standorten in der Schweiz Geschäftsflächen, in denen sich Geschäfte der Unternehmensgruppe B1 befinden. Im Handelsregister der C. AG ist B. mit Kollektivunterschrift zu zweien eingetragen. Zu seinem Aufgabenbereich gehörten insbesondere das Unterzeichnen der Buchhaltung sowie die Erstellung der Steuererklärungen der C. AG. Nach der Genehmigung durch den «Country Manager» wurden diese Unterlagen von beiden unterzeichnet und der Steuerbehörde eingereicht.</p>
<p>Am 6. bzw. 7. April 2011 gewährte die irische Konzerngesellschaft E. Ltd., ein zur internationalen Unternehmensgruppe B1 gehörendes Unternehmen, der C. AG ein Darlehen in Höhe von CHF 93 Millionen, mit einem Zinssatz von 3.15 % p.a. über eine Laufzeit von fünf Jahren.</p>
<p>Im Frühjahr 2014 führte die Steuerverwaltung des Kantons Waadt (nachfolgend: StV VD) eine Buchprüfung der Geschäftsjahre 2010 – 2012 bei der C. AG durch und informierte am 1. Juli 2014 B. und den Revisor der Revisionsstelle D. AG über das Bestehen von Steuerrisiken im Zusammenhang mit verdecktem Eigenkapital und Zinszahlungen auf konzerninternen Darlehen. Mit Vertrag vom 10. Juli 2014 hat die C. AG die Revisions- und Beratungsgesellschaft D. AG beauftragt, die Steuerrisiken im Zusammenhang mit verdecktem Eigenkapital und Zinszahlungen auf konzerninternen Darlehen für die Gewinn-, Kapital- und Verrechnungssteuer zu analysieren, Empfehlungen für die Jahresabschlüsse 2010 bis 2013 und für das laufende Jahr 2014 abzugeben, rechtliche Recherchen zu diesem Zweck durchzuführen und diese Fragen mit der StV VD zu besprechen bzw. zu verhandeln.<a title="" href="#_ftn3" name="_ftnref3"><sup>03</sup></a> Zuständiger Partner bei der D. AG für dieses Steuerberatungsmandat war A., welcher Rechtsanwalt und diplomierter Steuerexperte ist.</p>
<p>Am 21. August 2014 verfasste die D. AG, vertreten durch A., im Auftrag der C. AG ein Memorandum, das sowohl die identifizierten steuerlichen Risiken als auch mögliche Verhandlungsstrategien gegenüber der StV VD darlegte. In diesem Memorandum wurden Schätzungen zur zusätzlichen Steuerbelastung in sechs unterschiedlichen Szenarien vorgenommen. Diese Szenarien basierten auf verschiedenen Bewertungsmethoden für das verdeckte Eigenkapital, wobei Buchwerte, Steuerwerte und Marktwerte der Immobilien berücksichtigt wurden. Zur Bestimmung der zulässigen Zinssätze für konzerninterne Darlehen wurden die für Immobilien- sowie für Betriebskredite geltenden Zinssätze herangezogen. Das Memorandum empfahl, bei der Berechnung des verdeckten Eigenkapitals auf die Verkehrswerte der Immobilien abzustellen und das konzerninterne Darlehen als Betriebskredit zu qualifizieren. Dadurch sollten die von der Steuerverwaltung als überhöht beurteilten Zinsen anhand der für Betriebskredite zulässigen Zinssätze beurteilt werden. Zur Begründung der Qualifikation als Betriebskredit wurden folgende Argumente angeführt:</p>
<ol>
<li>Es bestand keine Kreditgarantie;</li>
<li>Die Geschäftstätigkeit der C. AG unterscheidet sich wesentlich von jener einer typischen Immobiliengesellschaft;</li>
<li>Eine Bank hätte ein solches Darlehen zu einem Zinssatz für Betriebskredite vergeben;</li>
<li>Der Zinssatz des streitgegenständlichen konzerninternen Darlehens entsprach den im Konzern weltweit angewandten Zinssätzen.</li>
</ol>
<p>Der Steuerberater verwies zudem darauf, dass das Rundschreiben der ESTV zu den zulässigen Zinssätzen dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit einräume, nachzuweisen, dass ein angewandter Zinssatz dem Drittvergleich standhält. In diesem Zusammenhang führte er aus, es bestehe ein Risiko, dass die StV VD allfällige geldwerte Leistungen an die ESTV meldet («Veuillez noter qu’il existe un risque que l’afc VD communique les prestations appréciables en argent à l’AFC.»). Weiter machte der Steuerberater Ausführungen zum Zusammenspiel von Erhebung und Rückerstattung der Verrechnungssteuer gemäss dem Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Schweiz und Irland (DBA CH – Irland) und legte eine Berechnung der 15% Residualsteuer für die sechs Szenarien bei. Zudem informierte er, dass die Verrechnungssteuer an die irische Gesellschaft überwälzt werden müsse. Sofern dies nicht gelinge, komme es zu einer Aufrechnung ins Hundert. Aus der rechtlichen Analyse wurden folgende Schlussfolgerungen gezogen: Zur Untermauerung des höheren Marktwerts der Immobilien im Vergleich zum Buchwert sollte eine entsprechende Schätzung vorgelegt werden. Darüber hinaus seien die genannten Argumente heranzuziehen, um darzulegen, dass es sich beim fraglichen Darlehen um einen Betriebskredit handelt. Sollte diese Argumentation nicht ausreichen, wurde empfohlen, zusätzlich eine Verrechnungspreisstudie einzureichen</p>
<p>Im September 2014 verfasste eine Mitarbeiterin der D. AG nach einem Telefongespräch des A. und der StV VD eine handschriftliche Notiz. Diese besagte, es sei nicht sicher, dass die StV VD die geldwerte Leistung melde, aber wenn die ESTV komme, Verrechnungssteuer geschuldet sei («La note manuscrite, rédigée par V. d’Y. SA à la suite d’un entretien téléphonique entre S. [= A] et le fisc vaudois, indique également que pour l’impôt anticipé, il n’était ‘pas certain que Vaud communique’, mais que ‘si l’AFC vient’, il y aura ‘35 % d’impôt anticipé ou 53 % brut pour net’ » [cf. pièce 800.100.307-308]).<a title="" href="#_ftn4" name="_ftnref4"><sup>04</sup></a></p>
<p> Im November 2014 erstellte die D. AG sodann eine solche Verrechnungspreisstudie zuhanden der C. AG, welche der StV VD vorgelegt wurde.<a title="" href="#_ftn5" name="_ftnref5"><sup>05</sup></a> Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass ein Zinssatz von 3.15 % als drittvergleichskonform zu beurteilen sei.</p>
<p>Die StV VD hat die eingereichte Verrechnungspreisstudie im Dezember 2014 nicht anerkannt mit der Begründung diese beruhe auf ausländischen Vergleichsfaktoren. Stattdessen schlug sie als Kompromiss vor, für die Jahre 2011 bis 2016 einen Zinssatz von 2,5 % anzuwenden – entsprechend dem für das Jahr 2011 von der ESTV publizierten Höchstzinssatz für Immobilienkredite.<a title="" href="#_ftn6" name="_ftnref6"><sup>06</sup></a></p>
<p>In einer E-Mail vom 10. Dezember 2014 schreibt der Revisor, die Verbuchung einer Rückstellung für das Verrechnungssteuerrisiko sei noch nicht angezeigt, da die Wahrscheinlichkeit, dass das Risiko eintreffe, nicht gegeben sei («Dans un courriel du 10 décembre 2014, R. mentionne avoir parlé à S. [ = A] et lui avoir indiqué oralement que l’enregistrement d’une provision pour risque lié à l’impôt anticipé ne serait nécessaire qu’à partir du moment où un contrôle de l’AFC serait annoncé, ce qui aurait pour effet que le risque de devoir payer l’impôt anticipé deviendrait probable» [cf. pièce 800.100.277]).<a title="" href="#_ftn7" name="_ftnref7"><sup>07</sup></a> Am 29. Januar 2015 einigte sich die C. AG mit der kantonalen Steuerverwaltung auf den Zinssatz von 2.5%, woraufhin entsprechende Zinsaufrechnungen im Rahmen der Veranlagung vorgenommen wurden.</p>
<p>Im Jahr 2015 unterzog die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) die Buchhaltungsunterlagen der C. AG einer stichprobenartigen Prüfung. In der Folge teilte sie dem Unternehmen mit, dass ein Teil der für die Jahre 2011 bis 2015 verbuchten Zinsaufwendungen nach ihrer Auffassung nicht geschäftsmässig begründet sei. Konkret hatte die C. AG gewisse konzerninterne Dienstleistungen nicht zu marktüblichen Preisen verrechnet und auf dem konzerninternen Darlehen überhöhte Zinsen bezahlt. Dadurch seien geldwerte Leistungen im Umfang von CHF 4'324'774 erbracht worden. Am 28. September 2015 verlangte die ESTV mit einem Informationsschreiben weitere Unterlagen und Auskünfte im Zusammenhang mit dem Darlehen. Daraufhin schrieb A. an B., dass das Verrechnungssteuerrisiko als relativ hoch einzustufen sei («the risk of Swiss WHT on the excessive rate should be considered as relatively high»).<a title="" href="#_ftn8" name="_ftnref8"><sup>08</sup></a> Am 11. Januar 2016 kündigte die ESTV eine Revision der Steuerjahre 2011 bis 2016 an. Mit E-Mail vom 1. Februar 2016 hat A. den B. informiert, dass die ESTV den von der C. AG verbuchten Zinssatz von 3,15% nicht akzeptiere, aber bereit sei, den auf einem Kompromiss basierenden Zinssatz von 2,5% anzuerkennen. Am 11. März 2016 informierte B. auf Empfehlung des A. die ESTV darüber, dass sie den Zinssatz von 2,5% akzeptieren. Am 20. Mai 2016 forderte die ESTV die Nachzahlung der Verrechnungssteuer in der Höhe von CHF 1'513'670, welche die C. AG am 8. Juli 2016 beglich.</p>
<p>Am 8. Januar 2018 eröffnete die Abteilung Strafsachen und Untersuchungen der ESTV (nachfolgend: «ASU») ein Verwaltungsstrafverfahren, da der Verdacht bestand, dass die Geschäftsleitung der C. AG in den Geschäftsjahren 2013 bis 2015 Verrechnungssteuer hinterzogen habe. Im Rahmen dieses Verfahrens führte die ESTV diverse Einvernahmen (u.a. mit dem Controller, dem Accounting Manager der C. AG und des Revisors der D. AG) durch und verpflichtete die Beratungsfirma D. AG zur Herausgabe der Steuer- und Buchhaltungsunterlagen. Am 13. März 2020 wurde das Verfahren auf B. persönlich, dem Verrechnungssteuerhinterziehung vorgeworfen wurde, ausgeweitet sowie auf A., gegen den wegen Anstiftung zur Verrechnungssteuerhinterziehung Untersuchungen liefen.</p>
<p>Am 16. September 2021 erliess die ASU gegen B. und A. Strafbefehle, gegen welche beide Parteien Einsprache erhoben. Mit Verfügung vom 8. November 2021 auferlegte die ESTV B. wegen Verrechnungssteuerhinterziehung in den Jahren 2013 und 2014 eine Busse von CHF 20'000 und A. wegen Anstiftung zur Verrechnungssteuerhinterziehung eine solche von CHF 30'000. B. und A. haben diese Verfügungen angefochten und wurden am 22. Dezember 2022 in erster Instanz vom «Tribunal de police de l’arrondissement de la Côte» vom Vorwurf der Verrechnungssteuerhinterziehung resp. deren Anstiftung freigesprochen.</p>
<p>Die ASU legte gegen dieses Urteil Berufung ein. Am 24. August 2023 fällte die zweite kantonale Instanz, der «Cour d’appel pénale du Tribunal cantonal du canton de Vaud», ihr Urteil. B. und A. wurden für das Geschäftsjahr 2014 der Verrechnungssteuerhinterziehung resp. deren Anstiftung schuldig gesprochen und je zu einer Busse von CHF 8'000 verurteilt. Das Gericht stellte im Wesentlichen fest, dass B., als Verantwortlicher für die Buchhaltungs- und Steuerangelegenheiten der C. AG, es unterlassen hatte, die geldwerten Leistungen der ESTV zu melden, obwohl er über deren Existenz informiert war. Zudem habe A. in seiner Funktion als Steuerberater der D. AG den B. bewusst dazu angestiftet, diese Leistungen nicht zu deklarieren und die darauf geschuldete Verrechnungssteuer nicht abzuführen. B. und A. haben gegen das Urteil vom 24. August 2023 Beschwerde beim Bundesgericht erhoben.</p>
<h3><strong>2.2 </strong><strong>Streitgegenstand</strong></h3>
<p>Einleitend ist festzuhalten, dass das Vorliegen von geldwerten Leistungen in Form von überhöhten Zinszahlungen auf dem konzerninternen Darlehen von beiden kantonalen Vorinstanzen bejaht wurde. Diese haben anerkannt, dass diese Leistung der Verrechnungssteuer unterliegt und der ESTV hätte bezahlt werden müssen. In Bezug auf das Geschäftsjahr 2014 hätte diese Meldung spätestens am 4. Juni 2015, d.h. 30 Tage nach Genehmigung des Jahresabschlusses 2014 am 4. Mai 2015, erfolgen müssen.<a title="" href="#_ftn9" name="_ftnref9"><sup>09</sup></a> Dieser Zeitpunkt wurde im gesamten Verfahren nicht in Frage gestellt.</p>
<p>Vor dem Bundesgericht wurde im Verfahren 6B_90/2024 einzig noch geprüft, ob für B. die der Verrechnungssteuer unterliegenden geldwerten Leistungen erkennbar waren und er somit rechtmässig aufgrund Hinterziehung der Verrechnungssteuer verurteilt wurde, was dieser bestreitet.</p>
<p>Im Verfahren 6B_93/2024 war streitig, ob A. in seiner Funktion als Steuerberater B. vorsätzlich dazu angestiftet hatte, die geschuldete Verrechnungssteuer nicht abzuführen und somit zu Recht wegen Anstiftung zur Verrechnungssteuerhinterziehung verurteilt wurde.</p>
<h3><strong>2.3 </strong><strong>Rechtsgrundlagen</strong></h3>
<p>Bevor die Urteile kritisch gewürdigt werden, sollen zunächst die rechtlichen Grundlagen von Art. 61 VStG sowie Art. 5 und 6 VStrR, auf welche sich die Entscheide stützen, näher beleuchtet werden.</p>
<p>Unter dem Titel der Verrechnungssteuerhinterziehung fasst Art. 61 VStG drei Übertretungstatbestände zusammen. In den vorliegenden Urteilen war der Tatbestand von Art. 61 lit. a VStG einschlägig.</p>
<blockquote>
<p>Art. 61 lit. a VStG lautet wie folgt:<br />«Wer vorsätzlich oder fahrlässig, zum eigenen oder zum Vorteil eines anderen dem Bunde Verrechnungssteuern vorenthält, wird, sofern nicht die Strafbestimmung von Art. 14 des Verwaltungsstrafrechtsgesetzes (VStrR) zutrifft, wegen Hinterziehung mit Busse bis zu 30 000 Franken oder, sofern dies einen höheren Betrag ergibt, bis zum Dreifachen der hinterzogenen Steuer oder des unrechtmässigen Vorteils bestraft.»</p>
</blockquote>
<p>Bei allen Tatbeständen ist vorausgesetzt, dass nicht zugleich der in Art. 14 VStrR geregelte Tatbestand des Leistungs- und Abgabebetrugs erfüllt ist.<a title="" href="#_ftn10" name="_ftnref10"><sup>10</sup></a> Bei der Tatbestandsvariante von lit. a handelt es sich um ein sog. gemeines Delikt. Täter kann mithin nicht nur der Steuerpflichtige sein, sondern auch jede andere Person.<a title="" href="#_ftn11" name="_ftnref11"><sup>11</sup></a></p>
<p>Als Vorenthalten gilt jedes Tun oder Unterlassen, mit welchem den im VStG normierten Pflichten zur rechtzeitigen und korrekten Abrechnung der Verrechnungssteuer zuwidergehandelt wird.<a title="" href="#_ftn12" name="_ftnref12"><sup>12</sup></a> Dem Wesen der Verrechnungssteuer als Selbstveranlagungssteuer entsprechend ist der objektive Tatbestand bereits dann erfüllt, wenn die ohne weiteres erkennbaren geldwerten Leistungen erbracht werden, ohne dass die Verrechnungssteuer spontan deklariert und entrichtet wird.<a title="" href="#_ftn13" name="_ftnref13"><sup>13</sup></a></p>
<p>Was die subjektive Seite betrifft, sind gemäss klarem Wortlaut von Art. 61 VStG sowohl die vorsätzliche als auch die fahrlässige Tatbegehung strafbar. Vorsatz ist gegeben, wenn eine Person mit Wissen und Willen eine Tat ausführt. Vorsätzlich handelt bereits, wer die Verwirklichung der Tat für möglich hält und in Kauf nimmt (Art. 12 Abs. 2 StGB). Fahrlässig handelt hingegen eine Person, wenn sie die Folgen ihres Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedenkt oder darauf nicht Rücksicht nimmt (Art. 12 Abs. 3 StGB). Art. 6 Abs. 1 VStrR sieht vor, dass wenn eine Widerhandlung beim Besorgen der Angelegenheiten einer juristischen Person, Kollektiv- oder Kommanditgesellschaft, Einzelfirma oder Personengesamtheit ohne Rechtspersönlichkeit oder sonst in Ausübung geschäftlicher oder dienstlicher Verrichtungen für einen andern begangen wird, die Strafbestimmungen auf diejenigen natürlichen Personen anwendbar sind, welche die Tat verübt haben.</p>
<p>Das Verrechnungssteuergesetz enthält keine Strafbestimmungen für Beteiligungen an Straftaten.<a title="" href="#_ftn14" name="_ftnref14"><sup>14</sup></a> Da diese Steuer jedoch in den Anwendungsbereich des Verwaltungsstrafrechtsgesetzes fällt, sind die einschlägigen Bestimmungen des VStrR sowie ergänzend jene des StGB<a title="" href="#_ftn15" name="_ftnref15"><sup>15</sup></a> anwendbar. Da das VStrR keine Definition von Gehilfen oder Anstiftern enthält,<a title="" href="#_ftn16" name="_ftnref16"><sup>16</sup></a> sind die Begriffsbestimmungen des StGB anwendbar, insbesondere Art. 24 StGB, wonach als Anstifter gilt, wer jemanden vorsätzlich zu einem von diesem verübten Verbrechen oder Vergehen bestimmt. Damit eine Anstiftung bejaht werden kann, muss sie vorsätzlich erfolgen. Der Vorsatz muss sich zum einen auf das Hervorrufen des Tatentschlusses und zum anderen auf die Vollendung der Tat durch den Anstifter beziehen.<a title="" href="#_ftn17" name="_ftnref17"><sup>17</sup></a></p>
<p>Rechtskräftige Schuldsprüche einer Straf- oder einer Verwaltungsbehörde wegen einer Übertretung werden im elektronisch geführten Strafregister-Informationssystem VOSTRA eingetragen, wenn eine Busse von mehr als CHF 5'000 oder gemeinnützige Arbeit von mehr als 180 Stunden verhängt worden ist (Art. 18 Abs. 1 lit. c Ziff. 3 StReG).<a title="" href="#_ftn18" name="_ftnref18"><sup>18</sup></a></p>
<h3><strong>2.4 </strong><strong>Erwägungen des Bundesgerichts</strong></h3>
<h4><strong>2.4.1 </strong><strong>Erwägungen zur Verrechnungssteuerhinterziehung durch B.</strong></h4>
<p>B. stellte sich vor Bundesgericht auf den Standpunkt, dass die zweite kantonale Instanz zu Unrecht Willkür in der Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung<a title="" href="#_ftn19" name="_ftnref19"><sup>19</sup></a> der ersten Instanz angenommen habe, soweit es um die Frage ging, ob ihm das Vorliegen geldwerter Leistungen, die der Verrechnungssteuer unterliegen, bewusst gewesen sei.<a title="" href="#_ftn20" name="_ftnref20"><sup>20</sup></a> Die zweite kantonale Instanz erachtete die erstinstanzliche Meinung, dass i) B. lediglich als Informationsübermittler («émetteur d’information») der C. AG anzusehen sei («[…] un simple instrument aux mains d’auteurs médiats»)<a title="" href="#_ftn21" name="_ftnref21"><sup>21</sup></a> und ii) er sich der Pflicht zur Deklaration einer geldwerten Leistung, die der Verrechnungssteuer unterliegt, nicht bewusst gewesen sei, als willkürlich.<a title="" href="#_ftn22" name="_ftnref22"><sup>22</sup></a> Sie wies insbesondere darauf hin, dass die StV VD der C. AG bereits im Dezember 2014 ausdrücklich mitgeteilt hatte, dass sie den umstrittenen Zinssatz von 3,15 % nicht anerkenne. Spätestens ab diesem Zeitpunkt hätte B. nach Ansicht der zweiten kantonalen Instanz nicht mehr ernsthaft an der Existenz geldwerter Leistungen zweifeln können.<a title="" href="#_ftn23" name="_ftnref23"><sup>23</sup></a></p>
<p>Das Bundesgericht schloss sich dieser Auffassung an. Es sei unbestritten, dass eine der Verrechnungssteuer unterliegende geldwerte Leistung nicht fristgerecht bei der ESTV deklariert und abgerechnet wurde, womit der objektive Tatbestand von Art. 61 lit. a VStG erfüllt sei. Es sei nicht offensichtlich unhaltbar, dass die Vorinstanz davon ausging, B. habe spätestens ab Dezember 2014 – nachdem die kantonale Steuerverwaltung ausdrücklich mitgeteilt hatte, den Zinssatz von 3,15 % nicht als marktüblich anzuerkennen – keine ernsthaften Zweifel mehr an der Steuerpflicht haben können. Für das Steuerjahr 2014, dessen geldwerte Leistung am 4. Juni 2015 (dem 31. Tag nach der Generalversammlung vom 4. Mai 2015<a title="" href="#_ftn24" name="_ftnref24"><sup>24</sup></a>) fällig wurde, sei er sich somit der Pflicht zur Deklaration und Entrichtung der Verrechnungssteuer bewusst gewesen und somit sei der subjektive Tatbestand ebenfalls erfüllt.<a title="" href="#_ftn25" name="_ftnref25"><sup>25</sup></a> B. konnte sich daher nicht mehr auf das zuvor vom Steuerberater erstellte Memorandum und die Transfer-Pricing-Studie stützen. Indem er die geldwerte Leistung dennoch nicht deklarierte und somit auf eine fehlende Kontrolle der ESTV spekulierte, handelte B. zumindest mit Eventualvorsatz im Sinne von Art. 12 Abs. 2 StGB.<a title="" href="#_ftn26" name="_ftnref26"><sup>26</sup></a></p>
<p>Art. 6 Abs. 1 VStrR hält fest, dass wenn eine Widerhandlung beim Besorgen der Angelegenheiten einer juristischen Person verübt wird, die Strafbestimmungen auf diejenigen natürlichen Personen anwendbar sind, welche die Tat ausgeführt haben. Vorliegend sei B. der Verantwortliche für Steuerfragen bei der C. AG und hatte die Buchhaltung und die Steuererklärung zu unterzeichnen. Er sei auch die Kontaktperson der ESTV im Zusammenhang mit der Buchprüfung. Die Tatsache, dass die C. AG eine Steuerberatungsfirma beigezogen habe und B. in diesem Zusammenhang seinen Vorgesetzten bezüglich der von der D. AG gemachten Vorschläge konsultiert habe, ändere nichts an seiner Pflicht, dass er das Vorliegen einer geldwerten Leistung der ESTV hätte melden müssen, sobald ihm diese bekannt war, was er unterlassen habe. Das Bundesgericht bestätigte, dass B. gemäss Art. 6 Abs. 1 VStrR für die Steuerhinterziehung der C. AG im Geschäftsjahr 2014 strafrechtlich verantwortlich ist.<a title="" href="#_ftn27" name="_ftnref27"><sup>27</sup></a> </p>
<h4><strong>2.4.2 </strong><strong>Erwägungen zur Anstiftung zur Verrechnungssteuerhinterziehung durch A.</strong></h4>
<p>A. warf in seiner Beschwerde an das Bundesgericht der zweiten kantonalen Instanz vor, zu Unrecht angenommen zu haben, er habe B. vorsätzlich zur Nichtdeklaration der strittigen geldwerten Leistungen bei der ESTV angestiftet. Die zweite kantonale Instanz verurteilte A. wegen Anstiftung zur Verrechnungssteuerhinterziehung, da er B. wissentlich dazu verleitet habe, der ESTV die geldwerten Leistungen nicht zu melden, indem er darauf spekulierte, dass die ESTV diese ohne Kontrolle nicht entdecken würde. Als zentrale Beweismittel dienten: i) das Memorandum, in dem A. Argumente zum «Entkommen» ("d'échapper") der geldwerten Leistung sowie eine Transfer-Pricing-Studie empfahl; ii) Gesprächsnotizen von Mitarbeitenden der D. AG, wonach ein Verrechnungssteuerrisiko nur im Falle einer angekündigten Kontrolle bestehe («risque IA que si AFC fait un contrôle») und eine Steuerrückstellung erst ab diesem Zeitpunkt erforderlich sei, da das Risiko erst dann als wahrscheinlich einzustufen wäre.<a title="" href="#_ftn28" name="_ftnref28"><sup>28</sup></a></p>
<p>Dieser Argumentation folgte das Bundesgericht jedoch nicht. Es hielt Folgendes fest:</p>
<p>«Selbst wenn man davon ausgeht, dass A. im Memorandum die Mittel zum ‘Entkommen’ (‘d'échapper’) der Verrechnungssteuer dargelegt hat – was im Übrigen legal ist, da es sich um den Versuch handelte, nachzuweisen, dass die auf die konzerninternen Darlehen bezahlten Zinsen keine steuerbaren geldwerten Leistungen darstellen –, lässt sich daraus nicht ableiten, dass er B. wissentlich dazu verleitet hat, die Steuer nicht zu deklarieren und nicht zu bezahlen. Die Annahme, dass die Risikoprüfung des Beschwerdeführers eine Empfehlung sei, nichts zu unternehmen, ist ebenfalls nicht haltbar. Das Schreiben vom September 2015, in welchem A. im Anschluss an das Auskunftsersuchen der ESTV vom 28. September 2015 B. darüber unterrichtete, dass das Verrechnungssteuerrisiko als hoch einzustufen ist, stamme aus einer Zeit nach der Begehung der Tat, nämlich nach dem 4. Juni 2015 – jenem Datum, an dem die Verrechnungssteuer aufgrund der geldwerten Leistungen spätestens hätte deklariert werden müssen. Das Schreiben konnte somit keinen Einfluss auf die Willensbildung des A. gehabt haben. Zudem wurden die internen handschriftlichen Notizen, auf die sich die Vorinstanz stützt, von einer Mitarbeiterin und nicht von A. verfasst. Es gibt auch keinen Hinweis darauf, dass sie an B. weitergeleitet wurden oder, dass sie einen Ratschlag wiedergeben, der B. gegeben wurde. Was den Hinweis des Revisors an A. betreffend Notwendigkeit von Rückstellungen für das Verrechnungssteuerrisiko betrifft, so ist die Annahme, dass der A. den Revisor zu einer solchen Empfehlung veranlasst hätte, ohne weitere Erklärung willkürlich.»<a title="" href="#_ftn29" name="_ftnref29"><sup>29</sup></a></p>
<p>Weiter stellte sich das Bundesgericht auch auf den Standpunkt, dass eine korrekte Anwendung von Art. 398 Abs. 4 StPO die Vorinstanz hätte veranlassen müssen, gestützt auf den in erster Instanz festgestellten Sachverhalt festzuhalten, dass sich A. gemäss dem ihm erteilten Mandat darauf beschränkte, den strittigen Zinssatz gegenüber der Steuerverwaltung und der ESTV zu verteidigen und eine Analyse der möglichen Steuerrisiken für den Fall zu liefern, dass der Zinssatz nicht akzeptiert werde. Dies kann nicht als Aufforderung zur Nichtdeklaration der Verrechnungssteuer verstanden werden. Eine solche Sachverhaltsfeststellung schliesst eine Verurteilung von A. wegen Anstiftung zur Verrechnungssteuerhinterziehung im Sinne von Art. 61 Abs. 1 VStG i.V.m. Art. 5 VStrR aus.<a title="" href="#_ftn30" name="_ftnref30"><sup>30</sup></a></p>
<h2>3. Würdigung der Urteile</h2>
<p>Die Urteile 6B_90/2024 und 6B_93/2024 des Bundesgerichts entfalten über den konkreten Einzelfall hinaus erhebliche Wirkung und haben insbesondere in der Steuerberatungs- und Unternehmenspraxis für Aufmerksamkeit und teils spürbare Verunsicherung gesorgt. Aus beiden Entscheiden lassen sich folgende zentrale Schlussfolgerungen ziehen:</p>
<h3>3.1 Zulässigkeit von Risikoanalysen und Positionspapieren</h3>
<p>Die Erstellung eines Positionspapiers, in dem ein Steuerberater die Argumente zugunsten des Steuerpflichtigen zusammenstellt und/oder steuerliche Risiken einschätzt, stellt keine strafrechtlich relevante Handlung dar. Das Bundesgericht hält zutreffend fest, dass in einem solchen Vorgehen – also der rechtlichen Argumentation und der Risikoeinschätzung – grundsätzlich kein steuerstrafrechtlich relevantes Verhalten zu erkennen ist. Eine abweichende Sichtweise würde den verfassungsrechtlich geschützten Anspruch des Steuerpflichtigen auf wirksame berufliche Vertretung ernstlich gefährden. Die Grenze zum Strafrecht wird erst dann erreicht, wenn die Beratung über eine blosse Einschätzung hinausgeht und konkrete Handlungsanweisungen gegeben werden.</p>
<h3>3.2 Strafbarkeitsrisiken bei Empfehlungen zum Umgang mit dem Entdeckungsrisiko</h3>
<p>Strafrechtlich problematisch wird es, wenn der Steuerberater die steuerlichen Risiken erkennt und darüber hinaus aktiv Empfehlungen abgibt, wie das Risiko einer Entdeckung durch die Steuerbehörden vermindert werden könnte. Folgt der Steuerpflichtige – oder, im Fall einer juristischen Person, der interne Steuerverantwortliche – einer solchen Empfehlung und unterlässt eine ordnungsgemässe und rechtzeitige Deklaration, liegt in der Regel eine strafbare Anstiftung vor (Art. 24 Abs. 1 StGB). Im konkreten Fall auferlegte die Abteilung Strafuntersuchungen (ASU) dem externen Steuerberater eine Busse, da verschiedene Elemente darauf hindeuteten, dass dieser gemeinsam mit der Revisionsstelle und dem unternehmensinternen Steuerverantwortlichen darauf spekuliert hatte, die kantonale Steuerverwaltung werde der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) keine Meldung erstatten. Zu nennen ist insbesondere eine Gesprächsnotiz einer Mitarbeiterin der Steuerberatungsgesellschaft aus dem September 2014 – also vor Eintritt der Fälligkeit der Verrechnungssteuerforderung –, in der sie auf die Unsicherheit einer Meldung durch die kantonale Steuerverwaltung und auf das Risiko einer Verrechnungssteuerpflicht hinweist. Ebenso ist die problematische Aussage der Revisionsstelle zu erwähnen, wonach das Risiko einer Verrechnungssteuerzahlung erst dann als wahrscheinlich einzustufen sei, wenn eine Kontrolle durch die ESTV angekündigt werde. Das Bundesgericht kam jedoch richtigerweise zum Ergebnis, dass aus diesen Sachverhaltselementen nicht mit der erforderlichen Klarheit geschlossen werden könne, der Steuerberater habe dem internen Steuerverantwortlichen empfohlen, aufgrund des geringen Entdeckungsrisikos auf eine Deklaration zu verzichten. Eine Verurteilung wegen Anstiftung hätte hingegen nähergelegen, wenn sich aus der Untersuchung ergeben hätte, dass der Berater auf Grundlage seiner Gespräche mit der Steuerverwaltung und der Revisionsstelle und das als gering eingestufte Entdeckungsrisiko den Rat erteilt hätte, die Verrechnungssteuer nicht abzuführen. Der Fall zeigt damit exemplarisch, wie sensibel die Grenze zwischen zulässiger Risikoberatung und strafrechtlich relevanter Einflussnahme verläuft – und dass der Ausgang eines Verfahrens gegen den Steuerberater je nach den im Rahmen der Untersuchung aufgedeckten Sachverhaltselemente hätte anders ausfallen können.</p>
<h3>3.3 Bedeutung der Fälligkeit der Verrechnungssteuerforderung</h3>
<p>Im vorliegenden Fall gingen die Parteien sowie die Vorinstanzen davon aus, dass die geldwerte Leistung im Zusammenhang mit dem Geschäftsjahr 2014 spätestens am 4. Juni 2015 hätte gemeldet werden müssen – also 30 Tage nach Genehmigung des Jahresabschlusses – am 4. Mai 2015. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung entsteht bei geldwerten Leistungen die Verrechnungssteuerforderung jedoch grundsätzlich bereits im Zeitpunkt der Leistung respektive – im Falle der buchhalterischen Abbildung der Leistung – bei den jeweiligen Verbuchungen der geldwerten Leistungen.<sup><a title="" href="#_ftn31" name="_ftnref31">31</a></sup> Die Steuer wird 30 Tage nach ihrer Entstehung fällig. Das Fälligkeitsdatum der Verrechnungssteuerforderung ist im Hinblick auf mögliche strafrechtliche Risiken in mehrfacher Hinsicht bedeutsam: Wie das Bundesgericht klarstellt, können steuerberatende Handlungen, die erst nach Fälligkeit der Steuerforderung erfolgen – wie etwa die Risikoeinschätzung durch A. im vorliegenden Fall – nicht mehr als Anstiftung gelten. Denn wenn die Selbstdeklaration bereits unterblieben ist, fehlt es an der Möglichkeit, den Willensentschluss des Steuerpflichtigen noch zu beeinflussen. Daraus folgt, dass eine nachträgliche Risikobeurteilung des Beraters keinen Tatentschluss des unternehmensinternen Steuerverantwortlichen zur Hinterziehung der Verrechnungssteuer hervorrufen kann.</p>
<p>Im konkreten Fall erwies sich für den unternehmensinternen Steuerverantwortlichen jedoch der Umstand als nachteilig, dass die kantonale Steuerverwaltung bereits vor Entstehung der Verrechnungssteuerforderung Zweifel an der Drittvergleichskonformität der ausgerichteten Zinsen geäussert hatte. Zudem war dem Steuerpflichtigen aufgrund des Memorandums des Beraters bekannt, dass im Falle einer Annahme geldwerter Leistungen auch Verrechnungssteuerfolgen drohen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die passive Hinnahme des Risikos – verbunden mit der Hoffnung, dass die ESTV die geldwerte Leistung nicht entdecken werde – ein Spiel mit dem Feuer dar. Das Bundesgericht macht in seinem Urteil nun deutlich, dass eine solche Haltung sowohl den objektiven als auch den subjektiven Tatbestand der Verrechnungssteuerhinterziehung erfüllen kann.</p>
<h3>3.4 Bedeutung der frühzeitigen Einbindung der ESTV bei Rechtsunsicherheit</h3>
<p>Hinsichtlich der Frage, ob eine Transaktion dem Drittvergleich standhält, ist grundsätzlich anzuerkennen, dass die ESTV nicht an die Einschätzung der kantonalen Steuerbehörde gebunden ist. In der Praxis kommt es zumindest vereinzelt vor, dass sich Steuerpflichtige im Rahmen eines Vergleichs mit der kantonalen Behörde mit einer Aufrechnung einverstanden erklären, diese aber für Zwecke der Verrechnungssteuer nicht als rechtsverbindlich anerkennen wollen. Die beiden Bundesgerichtsurteile verdeutlichen, dass in solchen Konstellationen der Steuerberater dem unternehmensinternen Steuerverantwortlichen zu empfehlen hat, die Rechtslage mit der ESTV frühzeitig – d.h. vor der Fälligkeit der Steuerforderung – abzuklären. Wird eine solche Klärung unterlassen, macht sich der Berater zwar gemäss Bundesgericht nicht ohne Weiteres strafbar, solange er nicht den ausdrücklichen Rat erteilt hat, auf eine Deklaration zu verzichten. Er setzt den Steuerpflichtigen bzw. den unternehmensinternen Verantwortlichen jedoch einem erheblichen Verrechnungssteuerstrafrisiko aus. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Auftrag des Steuerberaters nicht lediglich die Erstellung eines Positionspapiers oder einer Risikoeinschätzung umfasst, sondern ausdrücklich auch die Vertretung gegenüber den Steuerbehörden einschliesst.</p></article>
Use the editor to edit this text.