<article class="rz"><h2>1. Grenzgängerbesteuerung nach Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland - Schweiz</h2>
<h3>1.1 Definitionen</h3>
<p>Die Grenzgängerbesteuerung ist in <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1972/3075_3128_2910/de#art_15_a" target="_blank" rel="noopener">Art. 15a Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland-Schweiz (hiernach DBA D-CH)</a> definiert. Hiernach gelten als Grenzgänger Arbeitnehmende, die regelmässig vom Wohnort an den Arbeitsort im anderen Vertragsstaat fahren und nach der Arbeit an ihren Wohnort zurückkehren. Zentrales Leitbild ist, dass der Grenzgänger grundsätzlich zweimal täglich die Grenze überquert. Der Arbeitslohn, den der Grenzgänger aus seiner unselbständigen Arbeit erzielt, wird in seinem Ansässigkeitsstaat besteuert. Der Tätigkeitsstaat darf lediglich 4.5% des Bruttobetrages der Vergütung besteuern.<a title="" href="#_ftn1" name="_ftnref1"><sup>01</sup></a> Die Doppelbesteuerung wird in den beiden Vertragsstaaten auf unterschiedliche Weise vermieden:</p>
<ul>
<li>Deutschland rechnet als Wohnsitzstaat die in der Schweiz erhobene Quellensteuer i.H.v. maximal 4.5% auf die deutsche Einkommensteuer an.<a title="" href="#_ftn2" name="_ftnref2"><sup>02</sup></a></li>
<li>In der Schweiz wird der Bruttobetrag der Vergütungen bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage pauschal um einen Fünftel herabgesetzt. Vier Fünftel werden besteuert.<a title="" href="#_ftn3" name="_ftnref3"><sup>03</sup></a></li>
</ul>
<p>Die Grenzgängerregelung geht dem Tätigkeitsortprinzip (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1972/3075_3128_2910/de#art_15" target="_blank" rel="noopener">Art. 15 Abs. 1 DBA D-CH</a>), der Monteurklausel (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1972/3075_3128_2910/de#art_15" target="_blank" rel="noopener">Art. 15 Abs. 2 DBA D-CH</a>), Besatzungen von Schiffen und Luftfahrzeugen (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1972/3075_3128_2910/de#art_15" target="_blank" rel="noopener">Art. 15 Abs. 3 DBA D-CH</a>, umstritten) sowie der Regelung zum leitenden Angestellten (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1972/3075_3128_2910/de#art_15" target="_blank" rel="noopener">Art. 15 Abs. 4 DBA D-CH</a>) vor.<a title="" href="#_ftn4" name="_ftnref4"><sup>04</sup></a> Der Vorrang der Grenzgängerregelung gilt auch für Künstlerinnen und Sportlerinnen (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1972/3075_3128_2910/de#art_17" target="_blank" rel="noopener">Art. 17 DBA D-CH</a>, sofern sie Einkünfte aus unselbständiger Tätigkeit erzielen) und für öffentliche Bezüge einschliesslich der Ruhegehälter (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1972/3075_3128_2910/de#art_19" target="_blank" rel="noopener">Art. 19 Abs. 1 bis 3 DBA D-CH</a>).<a title="" href="#_ftn5" name="_ftnref5"><sup>05</sup></a></p>
<p>Die Grenzgängerin pendelt regelmässig vom Wohnort zum Arbeitsort und zurück. Eine Grenzregion gibt es nicht, d.h. unbeachtlich der Entfernung liegt bei täglichem Pendeln eine Grenzgängereigenschaft vor. Unbeachtlich ist auch, ob die arbeitstägliche Rückkehr zum Haupt- oder Zweitwohnsitz erfolgt.<a title="" href="#_ftn6" name="_ftnref6"><sup>06</sup></a> Vereinzelte Unterbrechungen sind grundsätzlich unschädlich, sofern bei Vollzeitbeschäftigung nicht mehr als 60 berufsbedingte Nicht-Rückkehrtage pro Kalenderjahr vorliegen (sog. Nicht-Rückkehrtage).<a title="" href="#_ftn7" name="_ftnref7"><sup>07</sup></a></p>
<p>Lediglich bei Teilzeitpensum und unterjährigem Arbeitsbeginn ist die relevante Höhe der 60 Nicht-Rückkehrtage entsprechend anteilig bzw. prozentual zu reduzieren.<a title="" href="#_ftn8" name="_ftnref8"><sup>08</sup></a> Bei Teilzeit-Arbeitsverhältnissen, bei denen durchschnittlich weniger als fünf Tage pro Monat oder weniger als ein Tag pro Woche zwischen Wohn- und Arbeitsort gependelt wird, liegt der sogenannte geringfügige Grenzgänger vor, der nicht den Regelungen von <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1972/3075_3128_2910/de#art_15_a" target="_blank" rel="noopener">Art. 15a DBA D-CH</a> unterliegt. Diese Regelung basiert auf einer Konsultationsvereinbarung.<a title="" href="#_ftn9" name="_ftnref9"><sup>09</sup></a> In <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1972/3075_3128_2910/de#art_15_a" target="_blank" rel="noopener">Art. 15a DBA D-CH</a> findet sie keinen Ursprung.</p>
<p>In der Praxis gab es viele Qualifikationsfragen betreffend die 60 Nicht-Rückkehrtage; exemplarisch:</p>
<p><img src="https://images.ctfassets.net/bgpaxzxi3eyz/3XzcscXZ4iavJDsupLPxrH/fa51d8e5c6ca50812b71a345c4c588dd/_Band_4-2022_A11_Grafik1.png" alt="Band_4-2022_A11_Grafik1.png" width="940" height="390" /></p>
<p>Die Nicht-Rückkehrtage sind im Wege von Einzelnachweisen zu belegen und vom Arbeitgeber im Formular Gre-3 zu bescheinigen.<a title="" href="#_ftn10" name="_ftnref10"><sup>10</sup></a></p>
<p>Dagegen sollen nach Auffassung der deutschen und schweizerischen Steuerverwaltung keine berufsbedingten Nicht-Rückkehrtage vorliegen, wenn die Rückkehr an den Wohnsitz zumutbar ist. Die Schweiz und Deutschland haben in einer Verständigungsvereinbarung vom 12.10.2018<a title="" href="#_ftn11" name="_ftnref11"><sup>11</sup></a> festgehalten, dass eine tägliche Rückkehr zumutbar sein soll, sofern die einfache Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte</p>
<ul>
<li>nicht mehr als 100 km beträgt oder alternativ</li>
<li>bei Nutzung des öffentlichen Verkehrs die Fahrtzeit eineinhalb Stunden übersteigt.</li>
</ul>
<p>Bei relativ kurzen Entfernungen oder Fahrtzeiten soll ein tägliches Pendeln zumutbar sein, sodass die steuerliche Grenzgängerregelung bestehen bleibt, selbst wenn man nachweislich nicht pendelt. Diese Regelung findet im DBA selbst keine Grundlage und ist daher im Einzelfall sehr kritisch zu hinterfragen.</p>
<p><a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1972/3075_3128_2910/de#art_15" target="_blank" rel="noopener">Art. 15a DBA D-CH</a> weist auch explizit auf folgenden Anwendungsfall hin.<a title="" href="#_ftn12" name="_ftnref12"><sup>12</sup></a> In Deutschland angestellte Mitarbeitende, die ihren Wohnsitz in die Schweiz verlegen, müssen u.a. <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1972/3075_3128_2910/de#art_4" target="_blank" rel="noopener">Art. 4 Abs. 4 DBA D-CH</a> beachten. Sofern sie weiterhin für ihre deutsche Arbeitgeberin tätig werden und arbeitstäglich über die Grenze pendeln, qualifizieren sie zwar grundsätzlich für die Anwendung des <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1972/3075_3128_2910/de#art_15" target="_blank" rel="noopener">Art. 15a DBA D-CH</a>. Das deutsche Besteuerungsrecht wird aber nicht auf 4.5% begrenzt. Aufgrund von <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1972/3075_3128_2910/de#art_4" target="_blank" rel="noopener">Art. 4 Abs. 4 DBA D-CH</a> hat Deutschland vielmehr im Wegzugsjahr und in den folgenden fünf Jahren ein vollumfängliches zusätzliches Besteuerungsrecht (vorbehaltlich möglicher Ausnahmen von <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1972/3075_3128_2910/de#art_4" target="_blank" rel="noopener">Art. 4 Abs. 4 DBA D-CH</a>). Zusätzlich weisen die Autoren auf die überdachende Besteuerung im Sinne von <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1972/3075_3128_2910/de#art_4" target="_blank" rel="noopener">Art. 4 Abs. 3 DBA D-CH</a> hin, die bei Doppelansässigen eine Rolle spielen kann.</p>
<h3>1.2 Grenzgänger und Homeoffice</h3>
<p>Bedingt durch die COVID-19 Pandemie ist auch die Homeoffice Tätigkeit von Grenzgängern in den Mittelpunkt gerückt. Im Rahmen einer am <a href="https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Steuern/Internationales_Steuerrecht/Staatenbezogene_Informationen/Laender_A_Z/Schweiz/2022-07-26-konsultationsvereinbarung-betreffend-der-grenzgaengerregelung-artikel-15a-des-deutsch-schweizerischen-DBS.pdf?__blob=publicationFile&v=1" target="_blank" rel="noopener">26. Juli 2022 veröffentlichten Konsultationsvereinbarung</a> haben die Schweiz und Deutschland klargestellt, dass Homeoffice-Tage grundsätzlich keine Nicht-Rückkehrtage im Sinne dieser Norm darstellen.<a title="" href="#_ftn13" name="_ftnref13"><sup>13</sup></a> Dies folgt der grundsätzlichen Systematik der Grenzgängerregelung: Bei einem fehlenden Verlassen des Wohnsitzes ist auch keine Nichtrückkehr möglich.</p>
<p>Einerseits sind somit Tätigkeitstage im Homeoffice keine Nicht-Rückkehrtage. Andererseits wird durch sie aber auch nicht der Umfang der 60 Nicht-Rückkehrtage gekürzt. Während der COVID-19 Pandemie war Letzteres noch abweichend geregelt (siehe Gliederungspunkt 1.3).</p>
<p>Nachfolgend werden einige typische Beispielfälle inklusive Lösungsansätze insbesondere aus dem Dienstleistungssektor aufgezeigt, deren Besteuerungsfolgen durch Homeoffice aktuell ungeklärt erscheinen. In keinem der Beispiele soll der jeweilige Sachverhalt in einem Jahr liegen, welches von pandemiebedingten Sonderreglungen betroffen ist.</p>
<h4>Beispiel 1:</h4>
<p>Eine in Deutschland ansässige Mitarbeiterin war vor der Pandemie Grenzgängerin, die täglich pendelte. Jetzt arbeitet sie nur noch an drei Tagen im Büro bei ihrem Arbeitgeber in der Schweiz (tägliches pendeln), an den restlichen zwei Tagen im deutschen Homeoffice. Im Beispielsjahr hat sie einige steuerlich zu berücksichtigende Dienstreisen unternommen, die zu 28 Nicht-Rückkehrtagen führen sollen.</p>
<p>Lösungsansatz: Da mit 28 Tage nicht mehr als 60 Nicht-Rückkehrtage nachgewiesen werden können, unterliegt die Mitarbeiterin weiterhin vollumfänglich der Grenzgängerbesteuerung gemäss <a href="file:///C:/Users/andreameyer/HeadStarterz%20Dropbox/HeadStarterz/Kunden/zsis)/Redaktion/1_Artikel/2022/Schwerpunktausgabe%20%22Homeoffice%22%20November%202022/Kubaile/DBA%20D-CH" target="_blank" rel="noopener">Art. 15a DBA D-CH</a>. Ihr gesamter Arbeitslohn ist in Deutschland unter Anrechnung von maximal 4.5% Schweizer Steuer zu versteuern.</p>
<h4>Beispiel 2:</h4>
<p>Eine in Deutschland ansässige Mitarbeiterin war in der Zeit vor der Pandemie sog. Wochenaufenthalterin in der Schweiz. Die Rückkehr an den deutschen Wohnsitz war nicht zumutbar (mehr als 100 km Entfernung oder mehr als 1.5 Stunden mit einem öffentlichen Verkehrsmittel). Nach der Pandemie arbeitet sie noch an drei Tagen in der Schweiz und übernachtet jeweils vor Ort in einem Hotel. An den anderen zwei Tagen arbeitet sie aus dem deutschen Homeoffice. Dienstreisen liegen keine vor.</p>
<p>Lösungsansatz: Die Grenzgängerregelung findet weiterhin keine Anwendung. Mangels täglichem Pendeln liegt keine Grenzgängereigenschaft vor. Somit greift u.E. das Tätigkeitsortprinzip (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1972/3075_3128_2910/de#art_15" target="_blank" rel="noopener">Art. 15 Abs. 1 DBA D-CH</a>). Der anteilige Arbeitslohn für die Schweizer Tätigkeitstage ist von der deutschen Besteuerung unter Progressionsvorbehalt, d.h. satzbestimmend freizustellen. Die Freistellung bedingt, dass ein Besteuerungsnachweis aus der Schweiz erbracht werden kann (Subject to Tax Klausel).<a title="" href="#_ftn14" name="_ftnref14"><sup>14</sup></a> Die Tage im deutschen Homeoffice sind in Deutschland zu versteuern.</p>
<h4>Beispiel 3:</h4>
<p>Ein Mitarbeiter beginnt im November 2022 in der Schweiz eine neue Stelle (kein leitender Angestellter). Er ist in Deutschland ansässig und arbeitet für seinen Schweizer Arbeitgeber aus seinem deutschen Homeoffice. Entsprechend der Vereinbarung mit seinem Arbeitgeber fährt er nur ca. alle zwei Wochen für einen Tag zu seinem Arbeitgeber in die Schweiz und pendelt abends wieder zu seinem Wohnort zurück.</p>
<p>Lösungsansatz: Insbesondere bei Mitarbeitenden, die einen Grossteil ihrer Zeit im Homeoffice verbringen, könnte argumentiert werden, dass das typische Bild des Grenzgängers mangels arbeitstäglicher Grenzüberquerung bereits ausscheidet. Die Schweizer und deutsche Steuerverwaltung haben sich soweit ersichtlich hierzu noch nicht geäussert. Nach Meinung der Autoren könnten hilfsweise die Grenzen des geringfügigen Grenzgängers analog angewendet werden. Bei analoger Anwendung wäre <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1972/3075_3128_2910/de#art_15_a" target="_blank" rel="noopener">Art. 15a DBA D-CH</a> nicht anzuwenden, wenn durchschnittlich weniger als fünf Tage pro Monat oder weniger als ein Tag pro Woche zwischen Wohn- und Arbeitsort gependelt wird. Dies ist vorliegend der Fall. Hiernach wäre der Arbeitslohn für Tätigkeitstage in der Schweiz von der Besteuerung in Deutschland satzbestimmend freizustellen, sofern ein Besteuerungsnachweis in der Schweiz erbracht werden kann.<a title="" href="#_ftn15" name="_ftnref15"><sup>15</sup></a> Die Tätigkeitstage im deutschen Homeoffice unterlägen dann der deutschen Besteuerung. Eine Klarstellung wäre hilfreich, zumal die Regelungen für die geringfügige Grenzgängerin sich nicht aus <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1972/3075_3128_2910/de#art_15_a" target="_blank" rel="noopener">Art. 15a DBA D-CH</a> ableiten lassen.</p>
<h4>Beispiel 4:</h4>
<p>Ein in Deutschland ansässiger leitender Angestellter ist teilzeitbeschäftigt. Er muss im Monat insgesamt nur drei Arbeitstage für seine Schweizer Arbeitgeberin arbeiten (15% Arbeitspensum). Weitere Tätigkeiten führt er nicht aus. In der Schweiz übt er seine Tätigkeit lediglich an ein bis zwei Tagen im Monat aus. An diesen Tagen kehrt er abends an seinen Wohnsitz zurück. An den übrigen ein bis zwei Tagen ist er im deutschen Homeoffice tätig.</p>
<p>Lösungsansatz: Strittig ist, ob der Grenzgänger als geringfügiger Grenzgänger anzusehen ist, da er die in der Konsultationsvereinbarung genannten Grenzen unterschreitet. Das Finanzgericht Baden-Württemberg urteilte, dass eine arbeitstägliche Rückkehr zu bejahen sei, da an mindestens einem Drittel der Tage eine Rückkehr erfolge. Die Regelungen der Konsultationsvereinbarung zum geringfügigen Grenzgänger sei nicht anzuwenden, da sie dem Wortlaut von <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1972/3075_3128_2910/de#art_15_a" target="_blank" rel="noopener">Art. 15a DBA D-CH</a> widerspräche, wobei sich das «1/3 Kriterium» ebenso nicht aus dem DBA ableiten lässt. Folglich sei er Grenzgänger (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1972/3075_3128_2910/de#art_15_a" target="_blank" rel="noopener">Art. 15a DBA D-CH</a>). Der Arbeitslohn ist in voller Höhe in Deutschland unter Anrechnung von höchstens 4.5% Schweizer Quellensteuer zu besteuern. Der Fall ist höchstrichterlich beim Bundesfinanzhof (BFH) anhängig.<a title="" href="#_ftn16" name="_ftnref16"><sup>16</sup></a> Ggf. hat das BFH-Urteil Einfluss auf die voranstehenden Beispiele 1 bis 4.</p>
<h3>1.3 Pandemiebedingte Sonderregelungen</h3>
<p>Im Rahmen der Pandemie griffen in beiden Ländern Massnahmen, welche das tägliche Pendeln zwischen Deutschland und der Schweiz erschwerten bzw. teilweise sogar unmöglich machten. Daher mussten auch viele Grenzpendler ihre Tätigkeit im Homeoffice ausüben. Die Pandemie selbst sollte aber keinen Einfluss auf die Besteuerung haben. Daher haben beide Länder eine <a href="https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Steuern/Internationales_Steuerrecht/Staatenbezogene_Informationen/Laender_A_Z/Schweiz/2020-06-12-DBA-Schweiz-COVID-19-Konsultationsvereinbarung-11-Juni-2020.html" target="_blank" rel="noopener">Konsultationsvereinbarung</a> für den sog. Bekämpfungszeitraum vom 11.3.2020 bis 30.6.2022 geschlossen.<a title="" href="#_ftn17" name="_ftnref17"><sup>17</sup></a></p>
<p>Hiernach greift für diejenigen Tage, an denen die Grenzgängerin aufgrund von Massnahmen zur Bekämpfung der COVID-19 Pandemie ihre Tätigkeit am Wohnsitz ausüben musste, eine Fiktion: Sie gelten als in dem Vertragsstaat verbrachte Arbeitstage, in dem sich der Arbeitsort ohne die Massnahmen befunden hätte. Ebenfalls wird per Fiktion eine arbeitstägliche Rückkehr an den Wohnsitz unterstellt (tägliches Pendeln). Massnahmen im Sinne der Vereinbarung sind beispielsweise Beschränkungen für betriebliche Abläufe, Zugang zum Arbeitsort, aber auch Nutzung des öffentlichen Personenverkehrs.<a title="" href="#_ftn18" name="_ftnref18"><sup>18</sup></a> Allerdings sind aber auch Tage, an denen pandemiebedingt eine Übernachtung im Tätigkeitsstaat erfolgt, ebenfalls keine steuerlich relevanten Nicht-Rückkehrtage. Dies gilt während des Bekämpfungszeitraums selbst dann, wenn der Arbeitgeber die Übernachtungskosten trägt.<a title="" href="#_ftn19" name="_ftnref19"><sup>19</sup></a></p>
<p>Keine Massnahmen im Sinne der Konsultationsvereinbarung sind Tage, an denen der Angestellte freiwillig im Hotel im Tätigkeitsstaat übernachtet, um seine Familie zu schützen.<a title="" href="#_ftn20" name="_ftnref20"><sup>20</sup></a> Entsprechend dem Wortlaut der Vereinbarung gilt die Fiktion auch nicht für Arbeitstage, die unabhängig von den Massnahmen am Wohnsitz verbracht worden wären. Hierunter fällt beispielsweise eine bereits vorher bestehende Homeoffice Regelung.<a title="" href="#_ftn21" name="_ftnref21"><sup>21</sup></a></p>
<p>Für Grenzgänger war es aufgrund der Lockdown-Phasen erschwert, die 60-Tage-Grenze zu überschreiten. Daher wird für denjenigen Zeitraum, in dem nicht täglich gependelt werden durfte, die 60-Tage-Grenze entsprechend gekürzt. Durch diese Regelung wird vermieden, dass eine Umqualifizierung lediglich aufgrund geänderten Arbeitsverhaltens während der Pandemie zu erfolgen hat. Die Konsultationsvereinbarung schreibt eine proportionale Kürzung vor. Bei der Berechnung sind zunächst die Tage des Bekämpfungszeitraums zu ermitteln. Hierfür sind die im jeweiligen Einzelfall relevanten pandemiebedingten Homeoffice-Tage sowie Tage, die einen pandemiebedingten Verbleib am Arbeitsort erfordern, zu berücksichtigen. Wochenend- und Feiertage sind einzubeziehen, soweit diese in den Bekämpfungszeitraum fallen. Dienstreisen unterbrechen den Bekämpfungszeitraum.</p>
<p>Die Formel lautet: </p>
<p><img src="https://images.ctfassets.net/bgpaxzxi3eyz/1iL0p4aoVHFMYi3Ey0zLte/eb77b1c411276bbdadb4555bb2e43a91/_Band_4-2022_A11_Grafik2.png" alt="Band_4-2022_A11_Grafik2" width="940" height="160" /></p>
<p>Der auf volle Tage aufgerundete Kürzungsbetrag ist von den 60 Nicht-Rückkehrtagen abzuziehen. Es ergibt sich danach ein neuer Höchstbetrag der Nicht-Rückkehrtage. Wird dieser überschritten, ist die DBA-Grenzgängerregelung nicht anzuwenden. Der zugrunde zulegende Zeitraum, in dem der Arbeitnehmer von den pandemiebedingten Massnahmen betroffen ist, ist von der Arbeitgeberin zu bescheinigen.<a title="" href="#_ftn22" name="_ftnref22"><sup>22</sup></a></p>
<h2>2. Betriebsstätte</h2>
<h3>2.1 Grundsätze</h3>
<p>Viele Unternehmen erwägen, ihre Angestellten auch zukünftig aus dem Homeoffice arbeiten zu lassen. Sofern das Homeoffice in einem anderen Land ausgeübt wird, ergibt sich jedoch ein latentes Betriebsstättenrisiko. Dies ist bspw. auch bei Grenzgängern der Fall. Begründet ein ausländisches Unternehmen eine Betriebsstätte am Homeoffice der Mitarbeitenden, so hat der Staat, in dem die Betriebsstätte liegt, ein Besteuerungsrecht für den zuzurechnenden Unternehmensgewinn.<a title="" href="#_ftn23" name="_ftnref23"><sup>23</sup></a> Ähnliche Folgen ergeben sich beim Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung, auf die vorliegend nicht weiter eingegangen wird.</p>
<p>Eine Betriebstätte muss sowohl nach nationalem Recht als auch nach dem <a href="https://fedlex.data.admin.ch/eli/cc/1972/3075_3128_2910" target="_blank" rel="noopener">DBA D-CH</a> selbst begründet werden. Nach deutschem Recht ist Betriebsstätte jede feste Geschäftseinrichtung oder Anlage, die der Tätigkeit eines Unternehmens dient.<a title="" href="#_ftn24" name="_ftnref24"><sup>24</sup></a> <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1972/3075_3128_2910/de#art_5" target="_blank" rel="noopener">Art. 5 Abs. 1 DBA D-CH</a> ist nahezu identisch. Hiernach ist eine Betriebsstätte eine feste Geschäftseinrichtung, in der die Tätigkeit des Unternehmens ganz oder teilweise ausgeübt wird. Nach deutscher Rechtsprechung kann das Homeoffice eine solche Geschäftseinrichtung darstellen, denn selbst eine Büroecke mit Schreibtisch und Telefon qualifiziert als Geschäftseinrichtung.<a title="" href="#_ftn25" name="_ftnref25"><sup>25</sup></a> Weiterhin ist eine gewisse Dauerhaftigkeit Voraussetzung. Diese liegt bei einer Wiederholung in regelmässigen Abständen vor. Die regelmässige Nutzung des Homeoffice stellt somit eine gewisse Dauerhaftigkeit dar.<a title="" href="#_ftn26" name="_ftnref26"><sup>26</sup></a> Oftmals wird auf einen 6-Monats-Zeitraum abgestellt, der sehr schnell erreicht werden kann.<a title="" href="#_ftn27" name="_ftnref27"><sup>27</sup></a></p>
<p>Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist jedoch auch die Verfügungsmacht des Arbeitgebers Voraussetzung für das Vorliegen einer Betriebsstätte. Hierfür müssen keine Eigentumsrechte oder Vereinbarungen über eine Entgeltzahlung für die Nutzung des Homeoffice vorliegen. Auch schriftliche Vereinbarungen sind nicht notwendig. Der Arbeitgeber muss aber eine Rechtsposition haben, die nicht entzogen werden kann.<a title="" href="#_ftn28" name="_ftnref28"><sup>28</sup></a> Dies ist regelmässig aber gerade nicht der Fall. Denn ohne die Zustimmung der Arbeitnehmerin kann der Arbeitgeber das Homeoffice nicht als feste Geschäftseinrichtung für sein Unternehmen nutzen.</p>
<p>Daher dürften die Homeoffice Tätigkeit in folgenden Fällen nicht als feste Geschäftseinrichtung in Deutschland qualifizieren:<a title="" href="#_ftn29" name="_ftnref29"><sup>29</sup></a></p>
<ul>
<li>Fehlende Verfügungsgewalt des Arbeitgebers.</li>
<li>Die Tätigkeit der Arbeitnehmerin im Homeoffice erfolgt nur gelegentlich.<a title="" href="#_ftn30" name="_ftnref30"><sup>30</sup></a></li>
<li>Bei den Tätigkeiten der Arbeitnehmerin handelt es sich lediglich um vorbereitende Tätigkeiten oder Hilfstätigkeiten.<a title="" href="#_ftn31" name="_ftnref31"><sup>31</sup></a></li>
<li>Der Arbeitnehmerin steht ein weiterer Arbeitsplatz im Unternehmen zur Verfügung.<br />Der Arbeitsplatz im Unternehmen muss kein fester Arbeitsplatz sein, ein Platz im Rahmen des «Desk-Sharings» ist ausreichend.<a style="font-family: -apple-system, BlinkMacSystemFont, 'Segoe UI', Roboto, Oxygen, Ubuntu, Cantarell, 'Open Sans', 'Helvetica Neue', sans-serif;" title="" href="#_ftn32" name="_ftnref32"><sup>32</sup></a></li>
</ul>
<p>Es ist jeweils auf die konkreten Umstände des Einzelfalls abzustellen.<a title="" href="#_ftn33" name="_ftnref33"><sup>33</sup></a></p>
<p>Die vermehrte Homeofficetätigkeit von Grenzgängern steht auch im Blickfeld der deutschen Bundesregierung. Sie äusserte bisher explizit Vorbehalte gegenüber einigen internationalen Tendenzen zum Absinken der Anforderungen zur Begründung einer Betriebsstätte.<a title="" href="#_ftn34" name="_ftnref34"><sup>34</sup></a> Auch die Literaturmeinung in der Schweiz scheint bisher eine engere Auslegung hinsichtlich der Begründung einer festen Geschäftseinrichtung durch die Tätigkeit im Homeoffice eines Mitarbeiters zu teilen.<a title="" href="#_ftn35" name="_ftnref35"><sup>35</sup></a></p>
<p>Weitere Gefahren drohen jedoch im Hinblick auf die sog. Vertreterbetriebsstätte, die ebenso zu einem Besteuerungsrecht im anderen Staat führt.<a title="" href="#_ftn36" name="_ftnref36"><sup>36</sup></a> Gemäss <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1972/3075_3128_2910/de#art_5" target="_blank" rel="noopener">Art. 5 Abs. 4 DBA D-CH</a> ist ständiger Vertreter eine Person, die für das Unternehmen gewöhnlich tätig wird. Indiz hierfür ist, dass sie das wirtschaftliche Risiko ihrer Tätigkeit nicht selbst trägt. Eine Vertreterbetriebsstätte besteht bspw. wenn die Arbeitnehmerin Vollmachten besitzt, im Namen für das Unternehmen Verträge abzuschliessen, und dies auch gewöhnlich ausübt.</p>
<p>Die Abschlussvollmacht ist ihrem wirtschaftlichen Gehalt nach auszulegen. So kann die Betriebsstätte nicht dadurch vermieden werden, dass die Arbeitnehmerin rein formell den Vertragsvollzug dem vertretenen Unternehmen überlässt. Die Vertreterbetriebsstätte erfordert keine feste Geschäftseinrichtung und kann daher regelmässig durch die Tätigkeit im Homeoffice begründet werden.</p>
<h3>2.2 Pandemiebedingte Sonderregelungen</h3>
<p>Gleichlautend zu den zuvor dargestellten steuerlichen Regelungen für Arbeitnehmende (vgl. Gliederungspunkt 1.3) sollen pandemiebedingte Homeoffice-Tage nicht zu steuerlichen Nachteilen für den Arbeitgeber führen. Insofern wurde im Rahmen der <a href="https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Steuern/Internationales_Steuerrecht/Staatenbezogene_Informationen/Laender_A_Z/Schweiz/2021-05-07-DBA-Schweiz-COVID-19-Konsultationsvereinbarung-27-April-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=3" target="_blank" rel="noopener">Konsultationsvereinbarung vom 27.4.2021</a> folgendes vereinbart: Eine Arbeitskraft, die nur aufgrund der Massnahmen zur Bekämpfung der COVID-19 Pandemie Tätigkeiten an ihrem Wohnsitz im Ansässigkeitsstaat ausübt, begründet für den Arbeitgeber regelmässig keine Betriebsstätte im Sinne von <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1972/3075_3128_2910/de#art_5" target="_blank" rel="noopener">Art. 5 DBA D-CH</a>. Es fehle hier bereits an einer Dauerhaftigkeit und Verfügungsmacht des Arbeitgebers.<a title="" href="#_ftn37" name="_ftnref37"><sup>37</sup></a></p>
<h2>3. Sozialversicherung</h2>
<h3>3.1 Grundsätze</h3>
<p>Gemäss <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2012/323/de" target="_blank" rel="noopener">Verordnung (EG) Nr. 883/2004</a> sowie <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2012/356/de" target="_blank" rel="noopener">Verordnung (EG) 987/2009</a> sind Arbeitnehmerinnen, die sowohl in Deutschland und in der Schweiz tätig sind, in dem Staat sozialversicherungspflichtig, in dem ihr Arbeitgeber seinen Sitz hat.<a title="" href="#_ftn38" name="_ftnref38"><sup>38</sup></a> Arbeitnehmende unterliegen jedoch dem Sozialversicherungsrecht ihres sogenannten Wohnmitgliedstaats, sofern sie dort einen wesentlichen Teil ihrer Tätigkeit ausüben. Wesentlicher Teil ist regelmässig eine mindestens 25%-ige Tätigkeit in einem 12-Monatszeitraum.<a title="" href="#_ftn39" name="_ftnref39"><sup>39</sup></a> Somit können Grenzgänger durch eine entsprechende Anzahl von Homeoffice-Tagen sehr schnell die Sozialversicherungspflicht in den Wohnmitgliedstaat wechseln.</p>
<p>Vor dem Hintergrund der vermehrten Homeofficetätigkeit von Mitarbeitenden diskutieren die EU-Staaten und die Schweiz daher derzeit über eine signifikante Erhöhung der 25% Grenze bzw. Handlungsalternativen.<a title="" href="#_ftn40" name="_ftnref40"><sup>40</sup></a> <a title="" href="#_ftn41" name="_ftnref41"><sup>41</sup></a></p>
<p>Besteht eine Sozialversicherungspflicht in Deutschland muss der Schweizer Arbeitgeber seine Beschäftigten in Deutschland anmelden.<a title="" href="#_ftn42" name="_ftnref42"><sup>42</sup></a> Alternativ können die genannten Pflichten auf die Arbeitnehmenden übertragen werden.<a title="" href="#_ftn43" name="_ftnref43"><sup>43</sup></a></p>
<h3>3.2 Pandemiebedingte Sonderregelungen</h3>
<p>Die COVID-19 Pandemie und die ergriffenen Massnahmen sollen ebenso keine Auswirkungen auf den Sozialversicherungsstatus von Grenzgängern haben. Daher wurde in diesen Fällen die zuvor beschriebene Anwendung der 25%-Grenze ausgesetzt. Die Regelung galt zunächst bis Ende Juni 2022 und wurde zwischenzeitlich bis 31.12.2022 verlängert.</p>
<p>Folglich verbleibt die Sozialversicherungspflicht bis zum 31.12.2022 in dem Land, in dem sie vor Beginn der COVID19 Pandemie bestand. Dies unabhängig davon, in welchem Umfang die Tätigkeit im Homeoffice im Wohnmitgliedstaat ausgeübt wird. Eine sogenannte A1 Bescheinigung ist grundsätzlich bei solchen Sachverhalten nicht erforderlich.<a title="" href="#_ftn44" name="_ftnref44"><sup>44</sup></a></p></article>
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