<article class="rz"><h2>1. Einleitung</h2>
<p>Die mehrwertsteuerliche Einordnung von Blockchain-Transaktionen ist nicht einfach.<sup><a title="" href="applewebdata://7103324E-95AC-45C9-9113-6633868E8963#_ftn1" name="_ftnref1">01</a></sup> Sowohl die Technologie als auch das Mehrwertsteuerrecht werfen komplexere Fragen auf, als man auf den ersten Blick vermuten würde. </p>
<p>Um gewisse Klarheit zu schaffen, hat die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) am 17. Juni 2019 erstmals ihre Praxis im Zusammenhang mit Blockchain- und Distributed Ledger-Technologie (DLT) veröffentlicht. Insbesondere wurde die MWST-Info (MI) 04 zum Steuerobjekt um eine neue Ziffer 2.7.3 ergänzt, die Auskunft darüber gibt, welche «Leistungen im Zusammenhang mit Blockchain- und Distributed-Ledger-Technologie» der Inlandsteuer unterliegen. Zudem wurde die Praxispublikation zur Steuerbemessung (MI 07) unter Ziff. 1.1.4 um ein Kapitel betreffend «Entgelt in Kryptocoins/Token» ergänzt, das zusätzliche Ausführungen zur Bemessungsgrundlage für die Berechnung der Steuer enthält.<a title="" href="applewebdata://7103324E-95AC-45C9-9113-6633868E8963#_ftn2" name="_ftnref2"><sup>02</sup></a></p>
<p>Nachfolgend wird die publizierte MWST-Praxis der ESTV zusammengefasst und kritisch gewürdigt.</p>
<h2>2. Überblick über die MWST-Praxis der ESTV</h2>
<h3><strong>2.1 </strong><strong>Token-Systematik </strong></h3>
<p>Die ESTV orientiert sich in ihrer Praxispublikation grundsätzlich am Dreiklang Zahlungs-, Nutzungs- und Anlage-Token der Wegleitung der Schweizer Finanzmarktaufsicht FINMA zu Initial Coin Offerings (ICO)<a title="" href="applewebdata://7103324E-95AC-45C9-9113-6633868E8963#_ftn3" name="_ftnref3"><sup>03</sup></a> und unterscheidet folgende Haupttypen von Token:<a title="" href="applewebdata://7103324E-95AC-45C9-9113-6633868E8963#_ftn4" name="_ftnref4"><sup>04</sup></a></p>
<ul>
<li><strong>Zahlungs-Token</strong> dienen keinem anderen Zweck als dem der Verwendung als Zahlungsmittel für den Erwerb von Lieferungen und/oder Dienstleistungen bei einem oder mehreren Leistungserbringern; sie berechtigen daher nicht zum Bezug bestimmter beziehungsweise bestimmbarer Leistungen, sondern stellen lediglich das vereinbarte Zahlungsmittel dar;</li>
<li><strong>Nutzungs-Token</strong> berechtigen zum Bezug von bestimmten oder bestimmbaren Leistungen und/oder gewähren ein Zugangsrecht zu einer Plattform, einer Applikation oder Ähnlichem (Lizenz oder lizenzähnliches Recht);</li>
<li><strong>Anlage-Token</strong> geben bspw. Anspruch auf eine Beteiligung am Ertrag, Umsatz, Gewinn, auf einen bestimmten Teil des Ertrags oder Umsatzes, oder auf derivative Rechte oder Ähnliches; diese basieren stets auf einem vertraglichen Rechtsverhältnis.</li>
</ul>
<p>In diesem Zusammenhang ist allerdings zu berücksichtigen, dass die FINMA zwar die gleichen Begriffe für die regulatorische Einordnung von Token verwendet (d.h. Zahlungs-, Nutzungs- und Anlagetoken), die jeweiligen Definitionen jedoch unterschiedlich sind. Dies führt in der Praxis zu viel Verwirrung. Es ist daher nicht möglich, sich für MWST-Zwecke einfach auf die FINMA-Klassifikation zu verlassen. Es muss eine separate Analyse vorgenommen werden.</p>
<p>Weiter ist zu beachten, dass die Definition der ESTV explizit Token ausschliesst, die ein gesellschaftsrechtliches Beteiligungsverhältnis begründen. Ebenso ausgeklammert sind Token, die eine rechtliche oder faktische Verpflichtung zur Rückzahlung des ursprünglich einbezahlten Betrags beinhalten (d.h. finanzielle Forderungen und Darlehen). </p>
<h3><strong>2.2 </strong><strong>Mehrwertsteuerfolgen von Token-Transaktionen</strong></h3>
<h4>2.2.1 Ausgabe im Rahmen eines ICO</h4>
<p>Bei einem ICO sammeln Unternehmen durch Crowdfunding Mittel (in gesetzlicher Währung oder Token) für ein bestimmtes unternehmerisches oder Open-Source-Projekt. Als Gegenleistung erhalten die Kapitalgeber in der Regel Blockchain-basierte Token. Sofern es sich dabei nicht um Zahlungs-Token im Sinne der Definition der ESTV handelt, betrachtet die ESTV die Hingabe finanzieller Mittel im Rahmen eines ICO aufgrund der dabei eingegangenen vertraglichen Verpflichtungen der Kapitalsuchenden als Entgelt für eine Leistung.</p>
<p>Daraus ergeben sich folgende mehrwertsteuerliche Konsequenzen:<a title="" href="applewebdata://7103324E-95AC-45C9-9113-6633868E8963#_ftn5" name="_ftnref5"><sup>05</sup></a></p>
<ul>
<li>die Ausgabe von Zahlungs-Token gegen Entgelt stellt einen mehrwertsteuerrechtlich nicht relevanten Austausch von Zahlungsmitteln dar;</li>
<li>die Ausgabe von Nutzungs-Token gegen Entgelt stellt hingegen eine Dienstleistung oder Lieferung dar und ist steuerbar, sofern keine Steuerausnahme zur Anwendung kommt;<a title="" href="applewebdata://7103324E-95AC-45C9-9113-6633868E8963#_ftn6" name="_ftnref6"><sup>06</sup></a></li>
<li>schliesslich ist die Ausgabe von Anlage-Token gegen Entgelt nach <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2009/615/de#art_21" target="_blank" rel="noopener">Art. 21 Abs. 2 Ziff. 19 MWSTG</a> von der Steuer ausgenommen.</li>
</ul>
<p>Verpflichtet sich ein Unternehmen jedoch dazu, mit den gesammelten finanziellen Mitteln beispielsweise eine Plattform oder eine Software zu entwickeln, qualifiziert die ESTV dies als auftragsrechtliche, steuerbare Leistung.</p>
<h4>2.2.2 Verwendung</h4>
<p>Die Verwendung von Zahlungs-Token für den Erwerb einer Leistung stellt die ESTV der Verwendung von gesetzlichen Zahlungsmitteln gleich.<a title="" href="applewebdata://7103324E-95AC-45C9-9113-6633868E8963#_ftn7" name="_ftnref7"><sup>07</sup></a></p>
<p>Hingegen soll die Verwendung bzw. der Einsatz von Nutzungs-Token im Zeitpunkt der Leistungserbringung (Realerfüllung) zu versteuern sein, sofern die Leistung nicht unter eine Steuerausnahme fällt und nicht bereits bei der Ausgabe (z.B. aufgrund einer Vorauszahlung) versteuert wurde. </p>
<p>Unter der «Verwendung» von Anlage-Token versteht die ESTV schliesslich Zahlungen an die Token-Inhaberin im Rahmen der schuldrechtlichen Forderung gegenüber dem Emittenten. Diese stellen beim Schuldner Aufwand und somit keinen Umsatz dar.</p>
<h4>2.2.3 Übertragung</h4>
<p>Auch bezüglich der Übertragung von Token gegen Entgelt oder andere Token stellt die ESTV auf die Funktionalität ab. Lediglich die Hingabe von Zahlungs-Token für eine Leistung stellt Entgelt (und keine zusätzliche Leistung) dar.</p>
<p>Werden hingegen Leistungen mit Anlage- oder Nutzungs-Token entschädigt, liegt grundsätzlich ein Tauschverhältnis vor, bei dem der Marktwert jeder Leistung als Entgelt für die andere Leistung gilt (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2009/615/de#art_24" target="_blank" rel="noopener">Art. 24 Abs. 3 MWSTG</a>).<a title="" href="applewebdata://7103324E-95AC-45C9-9113-6633868E8963#_ftn8" name="_ftnref8"><sup>08</sup></a> Hier müssen die sich gegenüberstehenden Leistungen mehrwertsteuerrechtlich nach der Art der jeweiligen Leistung beurteilt werden.</p>
<h4>2.2.4 Handel</h4>
<p>Der An- und Verkauf von Zahlungs-Token ist wie ein Tausch von Zahlungsmitteln zu behandeln und somit mehrwertsteuerlich nicht relevant, ausser es handelt sich um eine Geschäftstätigkeit analog dem Devisenhandel<a title="" href="applewebdata://7103324E-95AC-45C9-9113-6633868E8963#_ftn9" name="_ftnref9"><sup>09</sup></a>, welcher nach <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2009/615/de#art_21" target="_blank" rel="noopener">Art. 21 Abs. 2 Ziff. 19 Bst. d MWSTG</a> von der Steuer ausgenommen ist.</p>
<p>An- und Verkäufe von Nutzungs-Token stellen steuerbare Leistungen dar, sofern der Ort der im Token enthaltenen Leistung im Inland liegt und keine Steuerausnahme zur Anwendung kommt.<a title="" href="applewebdata://7103324E-95AC-45C9-9113-6633868E8963#_ftn10" name="_ftnref10"><sup>10</sup></a></p>
<p>Käufe und Verkäufe von Anlage-Token sind gemäss der Regelung im Bereich der Wertpapiere, Wertrechte und Derivate nach <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2009/615/de#art_21" target="_blank" rel="noopener">Art. 21 Abs. 2 Ziff. 19 MWSTG</a> von der Steuer ausgenommen.</p>
<h3><strong>2.3 </strong><strong>Mining / Staking </strong></h3>
<p>Ein Konsens-Algorithmus ist ein Prozess der Informatik, der dazu dient, in verteilten Systemen eine Einigung über einen einzigen Datenwert zu erzielen. Das bei der Blockchain ursprünglich angewandte Proof-of-Work-Verfahren wird «Mining» genannt und basiert auf spieltheoretischen Anreizen. Dabei können die Netzwerk-Teilnehmer als sog. «Miner» als Validatoren auftreten, wenn sie sich entscheiden, Rechenleistung in das Netzwerk zu investieren und damit vom Protokoll gestellte künstliche Rätsel, sog. «Proof-of-Work-Puzzles», zu lösen. Wer das Rätsel als erster gelöst und gegenüber dem Protokoll den «Arbeitsbeweis» erbracht hat, nimmt aus seinem «mempool» eine gewisse Anzahl unbestätigter Transaktionsnachrichten und speichert diese in einem Block. Diese Blockinformationen werden dann an die anderen Netzwerk-Teilnehmer kommuniziert und von diesen mit dem vorhandenen historischen Transaktionsarchiv verknüpft. Durch das Hinzufügen des neuen Blocks entsteht ein neuer, wiederum dezentral gespeicherter Status der Blockchain.<sup><a title="" href="applewebdata://7103324E-95AC-45C9-9113-6633868E8963#_ftn11" name="_ftnref11">11</a></sup> Für diese Tätigkeit erhält der Miner eine durch das Protokoll definierte Entschädigung. Ergänzt sein Block das Transaktionsarchiv, werden seiner Adresse einerseits die ausgelobten Transaktionsgebühren derjenigen Transaktionsnachrichten, die er in seinem Block abspeichert, zugeordnet. Andererseits wird ihm vom Protokoll eine pauschale Blockentschädigung («Block Reward») in neu geschaffenen Einheiten alloziert.</p>
<p>Neuere Blockchain-Protokolle verwenden stattdessen einen Proof-of-Stake-Konsens-Algorithmus und ermöglichen den Inhabern von Token, ohne grössere Investitionen in Rechenleistung als Validator am Konsensmechanismus teilzunehmen und neue Blöcke zu erstellen. Diese Aktivität wird «Staking» genannt. </p>
<p>Die ESTV knüpft unterschiedliche steuerliche Folgen an die Validatoren-Tätigkeit.<a title="" href="applewebdata://7103324E-95AC-45C9-9113-6633868E8963#_ftn12" name="_ftnref12"><sup>12</sup></a> Während beim reinen Block-Reward von einer nicht-unternehmerischen Tätigkeit ohne Vorsteuerabzugsberechtigung ausgegangen wird, wird die Transaktionsgebühr als elektronische Dienstleistung vom Validator an die Nutzerin angesehen, welche – sofern im Inland erbracht – steuerbar wäre.</p>
<p>Beim «Pool-Staking» und der Delegation von Token können sich die Inhaber durch das Überlassen ihres Stakes schliesslich einem Staking-Pool anschliessen, wofür sie i.d.R. mit einem Anteil der durch das Staking eingenommenen Transaktionsgebühr entschädigt werden. Der Staking-Pool betreibt dabei die Staking-Software. Zwischen dem Staking-Pool und dem einzelnen Teilnehmer liegen steuerlich relevante Leistungen vor. Der Ort dieser Dienstleistungen richtet sich nach <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2009/615/de#art_8" target="_blank" rel="noopener">Art. 8 Abs. 1 MWSTG</a>.</p>
<h3><strong>2.4 Steuerbemessung und Rechnungstellung</strong></h3>
<p>Ein Ausweis des Entgelts einzelner Leistungen lediglich in Token stellt gemäss ESTV mehrwertsteuerrechtlich keine separate Fakturierung dar.<a title="" href="applewebdata://7103324E-95AC-45C9-9113-6633868E8963#_ftn13" name="_ftnref13"><sup>13</sup></a> Die Leistungserbringerin hat daher ein Entgelt in Token im Zeitpunkt der Vereinnahmung des Entgelts bzw. der Rechnungsstellung zum Tageskurs in eine gesetzliche (in- oder ausländische) Währung umzurechnen und auf der Rechnung in einer gesetzlichen Währung auszuweisen.</p>
<p>Die Umrechnung kann dabei anhand geeigneter Umrechnungsportale erfolgen, wobei die gewählte Umrechnungsquelle stetig beizubehalten ist. Für bestimmte Token kann gemäss Praxismitteilung auch auf die von der ESTV publizierten Tageskurse zurückgegriffen werden.</p>
<h2>3. Kritische Würdigung der Praxisfestlegung</h2>
<p>Es ist zu begrüssen, dass die ESTV ihre Überlegungen zu den digitalen Vermögenswerten in dieser Form zusammengefasst hat. Dabei wurde versucht, das Thema möglichst systematisch darzustellen. Die Verwaltung weist aber zu Recht darauf hin, dass es sich um eine Momentaufnahme handelt, die auf den bisher der ESTV unterbreiteten Sachverhalten und Transaktionen beruht. </p>
<p>Die dargestellte Praxis bildet nach Ansicht des Autors aber leider nicht vollständig alle zivilrechtlichen, wirtschaftlichen, buchhalterischen und kybernetischen Aspekte von dezentralen, öffentlichen Open-Source-Blockchain-Systemen und den darauf implementierten Token (d.h. dezentral auf der Blockchain gespeicherte digitale Informations- und Abrechnungseinheiten) ab. </p>
<p>Eine Weiterentwicklung und Präzisierung der Praxis wäre daher vor allem in folgenden Bereichen wünschenswert.</p>
<h3><strong>3.1 </strong><strong>Token-Systematik </strong></h3>
<p>Die in der Praxis der ESTV diskutierten Token-Kategorien sind sehr eng definiert, berücksichtigen einige technische Funktionalitäten dezentraler Ökosysteme nicht und weisen Lücken auf. </p>
<p>Es besteht daher noch eine gewisse Unsicherheit, wie die Steuerverwaltung einen Token im Einzelfall qualifizieren könnte.</p>
<h4>3.1.1 Zahlungs-Token</h4>
<p>Nach Auffassung der ESTV kann ein Zahlungs-Token nur als Tauschmittel, d.h. als digitale Währung, verwendet werden. Diese mehrwertsteuerliche Einzelfunktionalität des Zahlungs-Tokens könnte aber nur in einem in sich geschlossenen Zahlungssystem sichergestellt werden, in dem - ähnlich wie bei Prepaid-Karten - eine anderweitige Verwendung vertraglich ausgeschlossen werden kann. Gerade bei offenen, dezentral betriebenen Protokollen und Anwendungen stellen die entsprechenden «Native Token» (z.B. BTC, ETH, XTZ, ADA) jedoch digitale Informations- und Abrechnungseinheiten ohne synchronisierten rechtlichen Inhalt dar. </p>
<p>Die Bitcoin-Blockchain als Beispiel definiert selbst keinen Verwendungszweck eines Bitcoins (BTC), sondern verbucht lediglich Transaktionen nach algorithmisch festgelegten Regeln. Damit kann ein BTC zwar faktisch als Zahlungsmittel zwischen zwei Nutzern verwendet werden, eine solche Vereinbarung kommt aber immer nur ausserhalb der Blockchain - «peer to peer» - zustande. Dies würde einen BTC aber gerade nicht als Zahlungstoken im Sinne der Definition der ESTV qualifizieren, da er nicht zwingend nur als Zahlungs- oder Tauschmittel eingesetzt werden kann.</p>
<h4>3.1.2 Nutzungs-Token</h4>
<p>Bei Nutzungs-Token ist zu beachten, dass die pauschale Erfassung aller möglichen Nutzungsfunktionalitäten in einer einzigen steuerbaren Kategorie zu kurz greift. Eine bessere Abgrenzung zu anderen Token-Typen wäre wünschenswert.</p>
<p>Nur wenn mit dem Token eine konkrete oder zumindest klar bestimmbare zukünftige Leistung verbunden ist (z.B. Vorauszahlung für eine genau definierte Leistung oder «Leistungsgutschein»), handelt es sich um einen mehrwertsteuerpflichtigen Nutzungs-Token. In diesem Fall unterliegen Token-Verkäufe an in der Schweiz ansässige Gegenparteien der Schweizer Mehrwertsteuer. Darüber hinaus besteht auch auf der Käuferseite ein potenzielles MWST-Risiko (z.B. steuerbare Leistung oder Bezugsteuer). Unbestimmte Nutzungsmöglichkeiten werden hingegen mehrwertsteuerlich als nicht steuerbare «Wertgutscheine» behandelt. Ihr Verkauf wird als blosser Bargeldtausch betrachtet und ist mangels entgeltlicher Leistung ein mehrwertsteuerlich irrelevanter Vorgang (d.h. keine Schweizer Mehrwertsteuer). </p>
<p>Daraus folgt, dass «Native Token» ohne spezifische oder zumindest bestimmbare zukünftige Dienstleistung ähnlich wie (unbestimmte) Wertgutscheine behandelt werden und somit der gleichen Logik wie Zahlungsmittel folgen. Hingegen ist die Schweizer Mehrwertsteuer auf Verkäufen an in der Schweiz ansässige Gegenparteien geschuldet, wenn der Token mit einer bestimmten oder bestimmbaren Leistung verbunden ist.</p>
<h4>3.1.3 Anlage-Token</h4>
<p>Bei den Anlage-Token fehlt sodann die wichtigste Kategorie von Anlageinstrumenten: Token, welche gesellschaftsrechtliche Beteiligungsverhältnisse widerspiegeln (d.h. Anteile am Nominalkapital wie Aktien oder Partizipationsscheine). Weiter schliesst die ESTV Token aus, die eine rechtliche oder faktische Verpflichtung zur Rückzahlung des ursprünglich einbezahlten Betrages beinhalten (z.B. Geldforderungen und Darlehen).</p>
<h4>3.1.4 Eigentums-Token</h4>
<p>Schliesslich bleibt auch eine Kategorie, welche absolute Rechte widerspiegeln würde (sog. Eigentums-Token), gänzlich unbeachtet.<a title="" href="applewebdata://7103324E-95AC-45C9-9113-6633868E8963#_ftn14" name="_ftnref14"><sup>14</sup></a></p>
<h3><strong>3.2 </strong><strong>Mining / Staking</strong></h3>
<h4>3.2.1 Leistungsverhältnis</h4>
<p>Die Praxis der ESTV unterstellt bei Mining- und Staking-Aktivitäten mit Vereinnahmung einer Transaktionsgebühr ein direktes, steuerbares Leistungsverhältnis zwischen der Nutzerin und dem Validator.<sup><a title="" href="applewebdata://7103324E-95AC-45C9-9113-6633868E8963#_ftn15" name="_ftnref15">15</a></sup></p>
<p>Es ist jedoch kritisch zu hinterfragen, ob bei der Validierungstätigkeit nicht eher das gesamte Blockchain-Netzwerk Gegenpartei der erbrachten Leitung ist, und nicht die einzelne Nutzerin, welche eine Transaktion ins Netzwerk einspeist. Die Voraussetzungen für das Zustandekommen eines Leistungsverhältnisses zwischen Nutzerin und Validator wären nämlich, dass der Validator die entsprechende Leistung faktisch überhaupt versprechen kann, diese dann tatsächlich auch erbringt, der Nutzerin dafür ein Entgelt entrichtet (Kausalität) und der Validator nur deshalb tätig wurde, weil er dieses Entgelt erhalten wollte (Finalität). </p>
<p>Schauen wir uns diesbezüglich zuerst die Erwartungen des potenziellen Leistungsempfängers an: Der Ersteller einer Transaktionsnachricht will einen konkreten Erfolg erzielen, nämlich, dass seine Transaktion auf dem dezentralen Transaktionsregister erfasst und so der Status der Blockchain geändert wird (Leistung), wofür er die Bezahlung einer Transaktionsgebühr auslobt (Entgelt). Er steht dabei im Wettbewerb mit den anderen Nutzern, welche denselben Erfolg für ihre Transaktionsnachrichten herbeiführen möchten. </p>
<p>Der potenzielle Leistungserbringer, d.h. der Validator, scheint jedoch faktisch gar nicht in der Lage zu sein, diesen Erfolg vollständig leisten zu können. Er tritt zwar in Konkurrenz zu den anderen Validatoren, investiert Rechenleistung in die Lösung des vom Protokoll gestellten «Proof-of-Work-Puzzles» und erstellt als Gewinner einen Block mit von ihm aus seinem «mempool» ausgewählten unbestätigten Transaktionsnachrichten (Leistung). Dafür erhält er gemäss Protokoll die entsprechenden Transaktionsgebühren und den «Block Reward» zugeteilt (Entgelt). Diese Blockinformationen werden schliesslich an die anderen Netzwerk-Teilnehmer verteilt. Damit ist die Leistung des Validators aber abgeschlossen und er widmet sich neuen «Proof-of-Work-Puzzles». D.h. der Validator erfüllt nur eine Teilaufgabe im gesamten Transaktionsprozess. Der vom potenziellen Leistungsempfänger erwartete Erfolg tritt jedoch erst ein, wenn mehr als die Hälfte aller Netzwerk-Teilnehmer ihr Transaktionsarchiv durch das Hinzufügen des neuen Blocks ergänzt haben und keine konkurrierenden Versionen der Kette mehr bestehen. Ab dann gilt dies als neuer Status der Blockchain. Dieser Erfolg kann demnach nur von der Gesamtheit der Netzwerk-Teilnehmer erbracht werden. Der einzelne Validator kann diesen weder versprechen noch leisten. Er kann dazu nur den vorgesehenen Teil im gesamten Prozess beitragen. </p>
<p>Diese Argumente sprechen bei einer üblichen, von der Nutzerin an das Netzwerk gesandten Transaktionsnachricht gegen ein direktes Leistungsverhältnis zwischen Nutzerin und Validator. Es liegen somit nicht nur eine, sondern zwei unabhängige Leistungen vor: eine zwischen der Nutzerin und dem Blockchain-Netzwerk um die Erfassung einer Transaktion im dezentralen Transaktionsregister, und eine zweite zwischen dem Validator und dem Blockchain-Netzwerk um die Erstellung eines Blocks bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen.<sup><a title="" href="applewebdata://7103324E-95AC-45C9-9113-6633868E8963#_ftn16" name="_ftnref16">16</a></sup> Es kann dabei eine Analogie zu Einkaufsgesellschaften, Künstlergruppen<a title="" href="applewebdata://7103324E-95AC-45C9-9113-6633868E8963#_ftn17" name="_ftnref17"><sup>17</sup></a>, Veranstalter<sup><a title="" href="applewebdata://7103324E-95AC-45C9-9113-6633868E8963#_ftn18" name="_ftnref18">18</a></sup>, Konsortien<sup><a title="" href="applewebdata://7103324E-95AC-45C9-9113-6633868E8963#_ftn19" name="_ftnref19">19</a></sup> oder Praxisgemeinschaften<sup><a title="" href="applewebdata://7103324E-95AC-45C9-9113-6633868E8963#_ftn20" name="_ftnref20">20</a> </sup>gezogen werden. Auch da tritt die Gemeinschaft nach aussen als Leistungserbringerin auf, wobei im Innenverhältnis die einzelnen Mitglieder wiederum separate Leistungen an die Gemeinschaft erbringen oder von ihr beziehen können. Allfällige von der Gemeinschaft an die Mitglieder überwiesene Gewinnbeteiligungen oder von den Mitgliedern an die Gemeinschaft bezahlte Beträge zwecks Deckung eines Verlustes stellen keine zusätzlichen Leistungen dar. </p>
<p>Die Praxis der ESTV<sup><a title="" href="applewebdata://7103324E-95AC-45C9-9113-6633868E8963#_ftn21" name="_ftnref21">21</a></sup>, welche ein direktes, steuerbares Leistungsverhältnis zwischen dem Validator und der Nutzerin unterstellt, ist somit zu überdenken. Zu beachten ist jedoch, dass in sehr seltenen Ausnahmenfällen trotzdem ein direktes Leistungsverhältnis vorliegen kann. Dies ist dann der Fall, wenn sich beide Parteien kennen und zusammen eine Vereinbarung treffen, nach welcher der Validator z.B. die Transaktionsnachricht bevorzugt behandeln und sicher in seinen Block einfügen würde, sollte er der Gewinner des Wettbewerbs um die Lösung des «Proof-of-Work-Puzzles» sein.<sup><a title="" href="applewebdata://7103324E-95AC-45C9-9113-6633868E8963#_ftn22" name="_ftnref22">22</a></sup> Dafür wird üblicherweise ein zusätzliches, ausserhalb des üblichen Transaktionsprozesses zu bezahlendes Entgelt versprochen. Es läge somit als Ausnahme eine unabhängige, direkte Leistung vor.</p>
<h4>3.2.2 Leistungsort</h4>
<p>Für die Leistung des Validators ist die Ortsbestimmung in der Schweiz nach dem Auffangtatbestand von <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2009/615/de#art_8" target="_blank" rel="noopener">Art. 8 Abs. 1 MWSTG</a> vorzunehmen. Es gilt das Empfängerortsprinzip. Als Empfängerort gilt dabei der Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit der Leistungsempfängerin. Dieser ist grundsätzlich am Ort der Geschäftsleitung. Ist diese nicht nur an einem Ort zentralisiert, muss auf den Mittelpunkt der strategischen Unternehmensleitung abgestellt werden.</p>
<p>Im vorliegenden Leistungsverhältnis ist – wie oben besprochen – das Blockchain-Netzwerk als Gesamtheit der Empfänger der Leistung des Validators. Aufgrund der Dezentralität der Blockchain wird die «Geschäftsleitung» dabei verteilt über alle teilnehmenden, gleichberechtigten Netzwerk-Teilnehmererbracht. Diese installieren auf ihrem Rechner das Protokoll und vernetzen sich mit den übrigen Teilnehmern, um nach den algorithmisch festgehaltenen Steuerungs-, Einigungs- und Transaktionsmechanismen das dezentrale Transaktionsregister zu führen. Es besteht demnach eine systemimmanente «Führungslosigkeit». Niemand ist der «Chef», niemand weiss es besser, und trotzdem handeln alle gleichgeschaltet und im Allgemeininteresse. Nach Ansicht des Autors ist daher auch die Ortbestimmung dezentral, d.h. anhand des Sitzes aller Netzwerk-Teilnehmer vorzunehmen. Da diese auf der ganzen Welt verstreut sind, ist auch die «Geschäftsleitung» des Blockchain-Netzwerkes global verteilt. </p>
<p>Es stellt sich aber die Frage, wie der Sitz der «Netzwerk-Teilnehmer konkret festgestellt werden kann. Diese sind wie alle anderen Akteure pseudonym aktiv und teilen keine Informationen zu ihrer Identität oder ihrer Ansässigkeit. Anhand von IP-Adressen der verbundenen Rechner können aber über Analysetools gewisse Informationen über deren Geolocation herausgelesen werden. So publiziert z.B. http://bitnodes.io eine immer aktuelle Liste der erreichbaren «Full Nodes» im Bitcoin-Netzwerk, https://www.ethernodes.org/countries eine solche für Ethereum. </p>
<p>Ist die Mehrheit der Netzwerk-Teilnehmer aus Sicht des Erbringerstaates im Ausland anzusiedeln, ist nach Ansicht des Autors von einem ausländischen Leistungsempfänger auszugehen. Als Analogie kann hier die Trust-Besteuerung in der Schweiz herangezogen werden, nach welcher das «Kopfprinzip» gilt.<sup><a title="" href="applewebdata://7103324E-95AC-45C9-9113-6633868E8963#_ftn23" name="_ftnref23">23</a></sup> Somit würde bei einer Blockchain immer ein ausländischer Leistungsempfänger vorliegen, solange weniger als die Hälfte der Netzwerk-Teilnehmer im jeweiligen Inland ansässig sind. Der Ort der entsprechenden Leistung wäre daher ebenfalls im Ausland zu verorten, was dazu führt, dass Mining und Staking in der Schweiz keiner Besteuerung unterliegen würde. </p>
<p>Diese Qualifikation erscheint auch steuersystematisch korrekt, da aufgrund der Dezentralität der Blockchain als Leistungsempfänger kein überwiegender Verbrauch der Leistung im jeweiligen Inland festgestellt werden kann. Ein Blockchain-Netzwerk verbraucht ausserhalb des Anwendungsbereiches der lokalen Mehrwertsteuergesetzgebung. Entsprechende Leistungen sollten daher auch nicht mit der Mehrwertsteuer erfasst werden.</p>
<h4>3.2.3 Delegation von Token</h4>
<p>Statt selbst als Validator am Netzwerk teilzunehmen, ermöglichen die Protokolle den Inhabern von Token meist auch die entsprechende «Staking-Funktion» des Tokens (d.h. die technische Möglichkeit zur Teilnahme am Konsensusmechanismus) an andere Validatoren zu delegieren. Auf diese Weise stehen dem Validator die «Staking-Funktionen» der delegierten Token zur Erhöhung seines eigenen Stakes zur Verfügung und unterstützen diesen dabei, seine eigene Validierungstätigkeit erfolgreicher ausüben zu können.</p>
<p>Validatoren, die sich für eine Delegation öffnen möchten, können dazu oft einen speziellen «Staking Pool» Smart Contract erstellen. Im entsprechenden Smart Contract definiert der Validator die Entschädigung an die Token Inhaberin für ihre Delegation. Die delegierten Token bleiben dabei jederzeit unter der Kontrolle der Token Inhaberin, sodass der Validator – ausser für die Nutzung der «Staking-Funktion» für seine eigene Validierungstätigkeit – keine Möglichkeit hat, anderweitig über die Token zu verfügen oder andere Funktionalitäten zu nutzen. Die Verteilung der neu geschaffenen Token an den Validator und delegierenden Token Inhaberin erfolgt automatisiert gemäss den Vorgaben im Smart Contract.</p>
<p>Die Inhaberin von Token überlässt somit bei der Delegation per Smart Contract ihre «Staking-Funktion», d.h. die technische Möglichkeit zur Teilnahme am Konsensusmechanismus, einem Validator zur Nutzung für dessen eigene Validierungstätigkeit. Entsprechend ist die Delegation der «Staking-Funktion» grundsätzlich als steuerbare Dienstleistung (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2009/615/de#art_3" target="_blank" rel="noopener">Art. 3 lit. e Ziff. 1 MWSTG</a>) der Token Inhaberin an den Validator zu qualifizieren. Eine im MWSTG vorgesehene Steuerausnahme für die vorliegende Leistung ist dabei nicht ersichtlich.</p>
<p>Da der Token bei einer Delegation der «Staking-Funktion» jederzeit unter der Kontrolle und somit im «Besitz» der Inhaberin verbleibt, ist diese insbesondere von der Übertragung an die Anbieter von Verwahrungs- und Verwaltungsdienstleistungen abzugrenzen, stellt aber auch keinen Umsatz im Bereich des Geld- und Kapitalverkehrs dar.</p>
<p>Hinsichtlich des Leistungsorts kommt mangels einer besonderen Ortsbestimmungsregel das Empfängerortsprinzip zur Anwendung (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2009/615/de#art_8" target="_blank" rel="noopener">Art. 8 Abs. 1 MWSTG</a>). Die entsprechenden Leistungen unterliegen somit nur dann der Schweizer MWST, falls der Validator als Leistungsempfänger im Inland domiziliert ist.</p>
<h2>4. Schlussbemerkungen</h2>
<p>Es ist wichtig zu beachten, dass die steuerlichen Auswirkungen von Blockchain- und DLT-basierten Geschäftsmodellen komplex sein können und eine sorgfältige Analyse erfordern. Es ist daher zu begrüssen, dass die ESTV ihre Überlegungen dazu in dieser systematischen Form zusammengefasst hat. </p>
<p>Es bestehen aber trotzdem noch gewisse Lücken und Unsicherheiten. Eine Weiterentwicklung und Präzisierung der Praxis wäre daher wünschenswert. Unternehmen, die im Bereich Blockchain und DLT tätig sind, müssen in der Zwischenzeit sicherstellen, dass sie sich nicht ausschliesslich auf die publizierten Praxisfestlegungen verlassen und gegebenenfalls weitere Beratung in Anspruch nehmen und/oder ein Ruling bei der ESTV einholen.</p></article>
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