<article class="rz"><h2>1. Praxisänderung des Bundesgerichts bei treuwidrigem Verhalten</h2>
<p>In den letzten Jahren musste das Bundesgericht vermehrt über das Steuerdomizil natürlicher und juristischer Personen im interkantonalen Verhältnis befinden. Dabei ging es häufig um eine nur formale Wohnsitz- bzw. Sitzverlegung, typischerweise von einem Hochsteuer- in einen Tiefsteuerkanton.</p>
<p>Beispielweise wurde in einem Tessiner Fall geltend gemacht, dass der Wohnsitz in den Kanton Zug verlegt worden sei, wobei der einzige Umstand, der auf einen angeblichen Wohnsitz hinwies, eine gemietete Wohnung in Zug war. An derselben Adresse im Kanton Zug war auch der Direktor der Gesellschaft, die den Steuerpflichtigen im kantonalen Domizilversfahren vertrat, gemeldet. Zudem hatten auch diese Gesellschaft sowie eine Reihe anderer Gesellschaften ihren Sitz an der Adresse in Zug. Das Bundesgericht kam in seinen Erwägungen zum Schluss, dass es sich dabei um eine Gefälligkeitsadresse («indirizzo di comodo») handeln musste. Demgegenüber hat es aufgrund von vielfältigen beruflichen, wirtschaftlichen und sozialen Bindungen den Lebensmittelpunkt und damit den steuerlichen Wohnsitz im Kanton Tessin bestätigt.<a title="" href="#_ftn1" name="_ftnref1"><sup>01</sup></a></p>
<p>Bei Steuerdomizilverfahren, die zu einer interkantonalen Doppelbesteuerung führen, ist das Bundesgericht in seiner früheren Rechtsprechung von einer Verwirkung des Beschwerderechts ausgegangen, wenn sich die steuerpflichtige Person rechtswidrig bzw. treuwidrig verhalten hatte.<a title="" href="#_ftn2" name="_ftnref2"><sup>02</sup></a> Das Verhalten der steuerpflichtigen Person wurde somit – trotz des verfassungsrechtlichen Verbots<a title="" href="#_ftn3" name="_ftnref3"><sup>03</sup></a> – mit einer interkantonalen Doppelbesteuerung «bestraft». Eine steuerpflichtige Person verhielt sich beispielswiese treuwidrig, wenn sie gegenüber dem erstveranlagenden Kanton bewusst falsche Angaben gemacht hat.<a title="" href="#_ftn4" name="_ftnref4"><sup>04</sup></a> Demgegenüber lag noch kein treuwidriges Verhalten vor, wenn sich die steuerpflichtige Person beim Kanton, gegen dessen Besteuerung sie sich schliesslich wehrt, zuvor eine unvollständige Anfrage für ein Steuerruling gestellt hat, oder wenn sie den erstveranlagenden Kanton lediglich nicht über den kollidierenden Steueranspruch des anderen Kantons informiert, solange sie von diesem Steueranspruch keine gesicherte Kenntnis hat, sondern lediglich damit rechnen musste.<a title="" href="#_ftn5" name="_ftnref5"><sup>05</sup></a></p>
<p>Mit Urteil vom 17. August 2023<a title="" href="#_ftn6" name="_ftnref6"><sup>06</sup></a> hat das Bundesgericht seine Praxis aufgegeben, wonach die steuerpflichtige Person bei treuwidrigem Verhalten im Falle einer interkantonalen Doppelbesteuerung das Beschwerderecht verliert. Mit dieser Praxisänderung zielt das Bundesgericht darauf ab, die Interessen des zur Besteuerung effektiv berechtigten Kantons zu schützen und zu verhindern, dass sich steuerpflichtige Personen ihrer kantonalen Steuerpflicht entziehen, indem sie eine Steuerpflicht in einem anderen Kanton vorspiegeln. Den Interessen des erstveranlagenden Kantons, der zur Rückerstattung bereits bezogener Steuern verpflichtet ist, kann insofern Rechnung getragen werden, als die steuerpflichtige Person im bundesgerichtlichen Verfahren ausnahmsweise verpflichtet wird, diesen für den verursachten Verfahrensaufwand zu entschädigen.<a title="" href="#_ftn7" name="_ftnref7"><sup>07</sup></a></p>
<p>In einem obiter dictum hat das Bundesgericht zudem festgehalten, dass der zur Besteuerung berechtigte Kanton dem Fehlverhalten von steuerpflichtigen Personen auch im interkantonalen Verhältnis nicht hilflos ausgeliefert ist; dieser kann – oder muss sogar<a title="" href="#_ftn8" name="_ftnref8"><sup>08</sup></a> – allfälligem Fehlverhalten seitens der Steuerpflichtigen bei gegebenen Voraussetzungen mit den Mitteln des Steuerstrafrechts begegnen. Ein solches Fehlverhalten – vor allem die fehlerhafte Deklaration oder die Erteilung falscher oder unvollständiger Auskünfte – erfüllt regelmässig den Tatbestand der versuchten Steuerhinterziehung.<a title="" href="#_ftn9" name="_ftnref9"><sup>09</sup></a></p>
<p>Den Begriff des treuwidrigen bzw. missbräuchlichen Verhaltens im Zusammenhang mit der interkantonalen Doppelbesteuerung hat das Bundesgericht aber auch mit seiner neuen Rechtsprechung nicht ganz aufgegeben. Wie es auch in einem kürzlich ergangenen Entscheid<a title="" href="#_ftn10" name="_ftnref10"><sup>10</sup></a> bestätigt hat, ist auf materiell-rechtlicher Ebene nicht von vornherein ausgeschlossen, dass eine steuerpflichtige Person ihren Anspruch auf Beseitigung der interkantonalen Doppelbesteuerung verlieren bzw. den Schutz des Doppelbesteuerungsverbots verwirken könnte. Es wird dafür vorausgesetzt, dass sich das Verhalten einer doppelt besteuerten Person als qualifiziert missbräuchlich erweist und der betroffene Kanton zugleich ausnahmsweise ein legitimes Interesse daran hat, bezogene Steuern einzubehalten, obschon er nach interkantonalem Doppelbesteuerungsrecht oder sogar bereits nach harmonisiertem Steuerrecht keinen Steueranspruch hat.<a title="" href="#_ftn11" name="_ftnref11"><sup>11</sup></a> Nicht klar ist, wann ein solches legitimes Interesse überhaupt vorliegt; verneint wurde dies im Fall von Verzerrungen im nationalen Finanzausgleich (NFA), die durch Doppelbesteuerungsfälle hervorgerufen werden.<a title="" href="#_ftn12" name="_ftnref12"><sup>12</sup></a></p>
<p>Daraus folgt, dass nach der aktuellen Rechtsprechung ein treuwidriges Verhalten der Steuerpflichtigen bei der Feststellung des Steuerdomizils im interkantonalen Verhältnis nicht mehr zur Verwirkung des Beschwerderechts führt und der Kanton, der zu Unrecht Steuern bezogen hat, diese in der Regel zurückerstatten und somit die interkantonale Doppelbesteuerung beheben muss. Ein solches treuwidriges Verhalten kann jedoch zur Eröffnung eines Straf- und Nachsteuerverfahrens führen.</p>
<h2>2. Steuerstrafverfahren</h2>
<h3>2.1 Steuerhinterziehung</h3>
<p>Gemäss Art. 175 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer (DBG)<a title="" href="#_ftn13" name="_ftnref13"><sup>13</sup></a> bzw. Art. 56 Abs. 1 des Steuerharmonisierungsgesetzes (StHG)<a title="" href="#_ftn14" name="_ftnref14"><sup>14</sup></a> liegt insbesondere dann eine Steuerhinterziehung vor, wenn der Steuerpflichtige vorsätzlich oder fahrlässig bewirkt, dass eine Veranlagung zu Unrecht unterbleibt oder dass eine rechtskräftige Veranlagung unvollständig ist. Das strafbare Verhalten kann in einem Tun oder Unterlassen bestehen, das einer Verletzung von Verfahrenspflichten gleichkommt, wobei der Taterfolg in einer unvollständigen oder unterbliebenen Veranlagung besteht.<a title="" href="#_ftn15" name="_ftnref15"><sup>15</sup></a></p>
<p>Die Busse beträgt in der Regel das Einfache der hinterzogenen Steuer. Sie kann bei leichtem Verschulden bis auf einen Drittel ermässigt, bei schwerem Verschulden bis auf das Dreifache erhöht werden (Art. 175 Abs. 2 DBG; Art. 56 Abs. 1 StHG).</p>
<h3>2.2 Versuchte Steuerhinterziehung</h3>
<p>Bleibt der Taterfolg (d.h. eine unterlassene oder unvollständige Veranlagung) aus, kann eine versuchte Steuerhinterziehung vorliegen. Die versuchte Steuerhinterziehung ist nur bei (eventual-) vorsätzlichem, nicht aber bei fahrlässigem Handeln strafbar (Art. 176 DBG bzw. 56 Abs. 2 StHG i.V.m. Art. 12 Abs. 1 StGB<a title="" href="#_ftn16" name="_ftnref16"><sup>16</sup></a>).</p>
<p>Die Busse beträgt zwei Drittel der Busse, die bei vollendeter Steuerhinterziehung festzusetzen wäre (Art. 176 Abs. 2 DBG; Art. 56 Abs. 2 StHG).</p>
<h3>2.3 Teilnahme: Anstiftung und Gehilfenschaft</h3>
<p>Die Teilnahmehandlungen sind von der Haupttat (vollendete oder versuchte Steuerhinterziehung) zu unterscheiden. Der Teilnehmer wird ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit des Steuerpflichtigen bestraft, d.h. auch wenn der Haupttäter selber nicht bestraft werden kann. Hingegen muss die Haupttat begangen worden sein. Dem Teilnehmer wird eine Busse auferlegt, und er haftet zudem solidarisch für die hinterzogenen Steuern, inklusive der zu hinterziehen versuchten Steuern (Art. 177 Abs. 1 und 2 DBG; Art. 56 Abs. 3 StHG).</p>
<p>Als Teilnehmer kommen beispielsweise der vertragliche oder gesetzliche Vertreter des Steuerpflichtigen, Angestellte des Steuerpflichtigen und Organe oder Vertreter der steuerpflichtigen juristischen Person in Frage.</p>
<p>Anstiftung liegt vor, wenn der Anstifter den Haupttäter vorsätzlich zur Begehung der Haupttat veranlasst (Art. 24 StGB), d.h. der Anstifter ruft im Haupttäter den Tatentschluss hervor. Dies ist regemässig der Fall, wenn der vertragliche Vertreter eines Steuerpflichtigen diesem eine Steuerhinterziehung vorschlägt und ihn dazu anhält, beispielsweise indem er ein Briefkastendomizil zur Verfügung stellt.</p>
<p>Gehilfenschaft ist gegeben, wenn dem Haupttäter zu den strafbaren Handlungen vorsätzlich Hilfe geleistet wird (Art. 25 StGB). Der Gehilfe leistet dabei einen kausalen Beitrag zur Haupttat, welche dadurch gefördert wird. Dies ist z.B. der Fall, wenn die Treuhänderin die Steuererklärung bewusst auf der Grundlage eines Scheindomizils erstellt.<a title="" href="#_ftn17" name="_ftnref17"><sup>17</sup></a></p>
<h2>3. Verfahrenspflichten der steuerpflichtigen Person</h2>
<p>Da das strafbare Verhalten eine Verletzung von Verfahrenspflichten voraussetzt, wird nachfolgend näher auf die Verfahrenspflichten der steuerpflichtigen Person sowohl im ordentlichen Veranlagungsverfahren wie auch im Steuerdomizilverfahren eingegangen.</p>
<h3>3.1 Verfahrenspflichten im ordentlichen Veranlagungsverfahren</h3>
<p>Das Veranlagungsverfahren der direkten Steuern ist ein gemischtes Verfahren. Steuerpflichtige und die Veranlagungsbehörde stellen gemeinsam die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse fest, die für eine vollständige und richtige Besteuerung massgebend sind (Art. 123 Abs. 1 DBG). Daraus folgt zunächst eine allgemeine Mitwirkungspflicht der steuerpflichtigen Person, welche durch zahlreiche Verfahrenspflichten konkretisiert wird. Insbesondere muss sie das Formular für die Steuererklärung wahrheitsgemäss und vollständig ausfüllen und zusammen mit den erforderlichen Beilagen der Steuerbehörde fristgerecht einreichen (Art. 124 Abs. 2 i.V.m. 125 DBG; Art. 42 Abs. 3 StHG). Zudem muss sie alles tun, um eine vollständige und richtige Veranlagung zu ermöglichen und auf Verlangen der Veranlagungsbehörde mündlich oder schriftlich Auskunft erteilen sowie Geschäftsbücher, Belege und weitere Bescheinigungen vorlegen (Art. 126 DBG; Art. 43 StHG).</p>
<p>Ausgangspunkt der Sachverhaltsfeststellung im Veranlagungsverfahren bildet somit die Steuererklärung. Die Deklarationspflicht besteht auch dann, wenn steuerpflichtige Personen kein entsprechendes Formular erhalten haben. In diesem Fall müssen sie es bei der zuständigen Behörde verlangen (Art. 124 Abs. 1 Satz 2 DBG); unterlassen sie dies, so wird regelmässig bewirkt, dass eine Veranlagung zu Unrecht unterbleibt. Dieses Ergebnis kann sich ferner dann einstellen, wenn eine steuerpflichtige Person durch unvollständige oder unwahre Angaben erwirkt, dass sie aus dem Steuerregister gestrichen wird.<a title="" href="#_ftn18" name="_ftnref18"><sup>18</sup></a></p>
<p>Die Veranlagungsbehörde ihrerseits prüft die Steuererklärung und nimmt die erforderlichen Untersuchungen vor (Art. 130 Abs. 1 DBG; Art. 46 Abs. 1 StHG). Sie darf sich grundsätzlich darauf verlassen, dass die Steuererklärung richtig und vollständig ist. In der Regel kennt nur die steuerpflichtige Person die für ihre Veranlagung erheblichen Tatsachen, während die Untersuchungsbefugnis der Behörde beschränkt ist. Dieser das Veranlagungsverfahren beherrschende Untersuchungsgrundsatz findet deshalb seine Grenzen in der erwähnten Mitwirkungspflicht der Steuerpflichtigen nach Art. 123 Abs. 1 DBG. Die Steuerpflichtigen haben danach bei der Sachverhaltsermittlung und bei der Beweisleistung aktiv mitzuwirken, unabhängig davon, ob sie die objektive Beweislast tragen.<a title="" href="#_ftn19" name="_ftnref19"><sup>19</sup></a></p>
<p>Dabei gilt auch im öffentlichen Recht der Grundsatz, wonach derjenige die objektive Beweislast für eine Tatsache trägt, der aus ihr Rechte ableitet (Art. 8 ZGB<a title="" href="#_ftn20" name="_ftnref20"><sup>20</sup></a> analog). Die Umstände, die annehmen lassen, der Steuerpflichtige habe seinen Lebensmittelpunkt im Kantonsgebiet, sind steuerbegründend und somit von der Steuerbehörde nachzuweisen. Die Frage nach der objektiven Beweislast stellt sich erst dann, wenn eine relevante Tatsache trotz allen zumutbaren Untersuchungsaufwands seitens der Steuerbehörde beweislos bleibt. Können sie weder direkt noch indirekt mittels natürlicher Vermutungen bewiesen werden, ist zulasten des Fiskus davon auszugehen, dass sie sich nicht verwirklicht haben.<a title="" href="#_ftn21" name="_ftnref21"><sup>21</sup></a></p>
<p>Steuerpflichtige, die bereits in einem Kanton beschränkt steuerpflichtig sind (sog. wirtschaftliche Zugehörigkeit), haben die gleichen Pflichten wie im ordentlichen Veranlagungsverfahren.<a title="" href="#_ftn22" name="_ftnref22"><sup>22</sup></a> Beanstanden die Steuerpflichtigen lediglich den Umfang der Steuerpflicht (beschränkte vs. unbeschränkte Steuerpflicht), so haben sie einerseits umfassende Mitwirkungspflichten und, andererseits keinen Anspruch auf einen Vorentscheid über die Steuerpflicht (sog. Steuerdomizilentscheid).<a title="" href="#_ftn23" name="_ftnref23"><sup>23</sup></a></p>
<h3>3.2 Verfahrenspflichten im Steuerdomizilverfahren</h3>
<p>Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist der Steuerpflichtige praxisgemäss auch dann zu einer gewissen Mitwirkung verpflichtet, wenn die Steuerhoheit des Kantons zur Diskussion steht und die Steuerbehörde deshalb vorab einen Steuerdomizilentscheid trifft. Diesfalls ist der Streitgegenstand jedoch vorläufig auf die Frage der Veranlagungszuständigkeit beschränkt. Folglich muss der Steuerpflichtige auch nur in Bezug auf die dafür relevanten Tatsachen und Indizien Auskünfte erteilen; es kann von ihm in diesem Verfahrensstadium nicht erwartet werden, dass er eine Steuererklärung ausfüllt oder anderweitig über seine Steuerfaktoren Rechenschaft ablegt.<a title="" href="#_ftn24" name="_ftnref24"><sup>24</sup></a></p>
<p>Abzulehnen ist die Auffassung, wonach die Mitwirkungspflicht ein Steuerrechtsverhältnis voraussetzt und eine solche somit frühestens dann bestehen kann, wenn die Steuerbehörde aktiv wurde und den Beweis erbringen konnte, dass die Person in ihrem Kanton eine beschränkte oder unbeschränkte Steuerpflicht begründet hat.<a title="" href="#_ftn25" name="_ftnref25"><sup>25</sup></a> Wie Margraf zu Recht ausführt, dürfte gerade bei umstrittenen Steuerdomizilen während der Abklärungen auch das Steuerrechtsverhältnis unklar und im Zeitpunkt der Abklärungen noch nicht erstellt sein. Genügend sei deshalb das Vorliegen eines mutmasslichen Verfahrensrechtsverhältnisses, das bei hinreichend schlüssigen Anhaltspunkten für ein mögliches Steuerdomizil begründet wird.<a title="" href="#_ftn26" name="_ftnref26"><sup>26</sup></a> In der Praxis dürfe diese Unterscheidung wohl eher theoretischer Natur sein. Schliesslich – wie im nachfolgenden Kapitel darzulegen sein wird – beruht die Beweiswürdigung im Domizilverfahren regelmässig auf solchen schlüssigen Anhaltspunkten bzw. Indizien, die das Vorliegen einer Tatsache vermuten lassen.</p>
<p>Sobald ein Steuerdomizilentscheid in Rechtskraft erwachsen ist, wird die steuerpflichtige Person umfassend mitwirkungspflichtig und hat allfällige Konsequenzen unterlassener Mitwirkung – z.B. eine Ermessensveranlagung – zu tragen.<a title="" href="#_ftn27" name="_ftnref27"><sup>27</sup></a></p>
<h3>3.3 Mitwirkungspflichten und Beweiswürdigung</h3>
<p>Wo die Geschäfte geführt werden und die einzelnen Entscheide getroffen werden, die den Ort der tatsächlichen Verwaltung einer juristischen Person bestimmen bzw. wo sich der Lebensmittelpunkt einer natürlichen Person befindet, sind Tatsachen, deren Feststellung für die beweisführungsbelasteten Steuerbehörden regelmässig unmöglich oder zumindest unzumutbar ist. Oft ist es notwendig, dass sich die Behörden in ihrer Beweiswürdigung auf Indizien stützen und daraus Schlüsse auf relevante Tatsachen ziehen (sog. natürliche Vermutungen). Dabei genügt es für den Nachweis des Steuerdomizils, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass sich die relevante Geschäftsführung schwergewichtig an einem bestimmten Ort abspielt bzw. sich der Lebensmittelpunkt in einem bestimmten Kanton befindet. Es obliegt sodann der steuerpflichtigen Person, den Gegenbeweis anzutreten und die entsprechenden Beweismittel beizubringen.<a title="" href="#_ftn28" name="_ftnref28"><sup>28</sup></a></p>
<p>Wie bereits ausgeführt ist die präsumtiv steuerpflichtige Person auch im Steuerdomizilverfahren zur Mitwirkung verpflichtet, soweit es nicht um ihre Steuerfaktoren, sondern um Tatsachen geht, die ihre subjektive Steuerpflicht im Kanton begründen. Ob und inwiefern sie ihrer Mitwirkungspflicht nachkommt, hat auch einen Einfluss auf die Beweiswürdigung. Wirkt die steuerpflichtige Person nicht oder nur ungenügend mit, kann die Behörde dies als Indiz zu Lasten der steuerpflichtigen Person würdigen.<a title="" href="#_ftn29" name="_ftnref29"><sup>29</sup></a></p>
<p>Hat der frühere Wohnsitzkanton für ein paar Jahre anerkannt, dass sich das Hauptsteuerdomizil in einem anderen Kanton befand und will er nun die Besteuerungshoheit mit Bezug auf eine neue Steuerperiode wieder in Anspruch nehmen, so verlangt das Bundesgericht den Nachweis einer massgeblich veränderten Faktenlage zu seinen Gunsten. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die steuerpflichtige Person ihren Mitwirkungspflichten im Rahmen des Zumutbaren nachgekommen ist.<a title="" href="#_ftn30" name="_ftnref30"><sup>30</sup></a> Im Umkehrschluss muss deshalb gefolgert werden, dass kein solcher erhöhter Nachweis erforderlich ist, wenn die präsumtiv steuerpflichtige Person ihren Mitwirkungspflichten nicht nachkommt.</p>
<h3>3.4 Strafrechtlich relevantes Fehlverhalten der Steuerpflichtigen</h3>
<p>Wie bereits ausgeführt, kann das strafbare Verhaltenen in einem Tun oder Unterlassen bestehen. Damit kann bereits die unterlassene Einreichung einer Steuererklärung beim zur Besteuerung berechtigten Kanton zu einer Steuerhinterziehung führen. Typischerweise wird die steuerpflichtige Person, um der Besteuerung durch den berechtigten Kanton zu entgehen, aber zusätzliche Vorkehrungen treffen, etwa indem sie den Behörden falsche oder unvollständige Auskünfte erteilt.<a title="" href="#_ftn31" name="_ftnref31"><sup>31</sup></a> Beispielsweise machte die steuerpflichtige Person das Vorhandensein von Büroräumlichkeiten und Personal geltend, obwohl es sich tatsächlich lediglich ein «Briefkastendomizil» handelte.<a title="" href="#_ftn32" name="_ftnref32"><sup>32</sup></a></p>
<p>Auch bei Nichtdeklaration einer Betriebsstätte, wenn der Steuerpflichtige um deren Bestehen wusste oder hätte wissen müssen, kann eine (versuchte) Steuerhinterziehung vorliegen. Im Fall einer Produktions-Betriebsstätte im Kanton Luzern, der der gesamte Lohnaufwand von rund CHF 1.9 Mio. sowie einen Mietaufwand von CHF 60'000 zuzurechnen war, während sich der Sitz der Gesellschaft an der Adresse des Verwaltungsratspräsidenten im Kanton Zug befand, hielt das Bundesgericht fest, dass die steuerpflichtige Gesellschaft sehr wohl hätte wissen müssen, dass nicht der gesamte Reingewinn allein im Sitzkanton in Zug steuerbar sein konnte. Das Bundesgericht ist somit davon ausgegangen, dass die Gesellschaft die Betriebsstätte im Kanton Luzern im Sitzkanton ganz bewusst nicht deklariert habe. Zwar ging es beim Verfahren einzig um die Feststellung des (sekundären) Steuerdomizils, doch hat das Bundesgericht die Frage einer versuchten Steuerhinterziehung zumindest aufgeworfen.<a title="" href="#_ftn33" name="_ftnref33"><sup>33</sup></a></p>
<h2>4. Nachsteuerverfahren</h2>
<p>Die Eröffnung der Strafverfolgung wegen Steuerhinterziehung oder Steuervergehen gilt zugleich als Einleitung des Nachsteuerverfahrens (Art. 152 Abs. 2 DBG). Ein Nachsteuerverfahren kann aber auch unabhängig von einem Strafverfahren eingeleitet werden, wenn die Voraussetzungen für Letzteres nicht gegeben sind. Gemäss Art. 151 Abs. 1 DBG (bzw. Art. 53 Abs. 1 StHG) kann ein Nachsteuerverfahren insbesondere dann eingeleitet werden, wenn aufgrund Tatsachen oder Beweismitteln, die der Steuerbehörde nicht bekannt waren, eine Veranlagung zu Unrecht unterblieben ist. Eine Veranlagung kann namentlich aufgrund dessen unterbleiben, dass die Veranlagungsbehörde um die subjektive Steuerpflicht einer natürlichen oder juristischen Person gar nicht weiss. Ist zum Zeitpunkt, da die Veranlagungsbehörde von der möglichen subjektiven Steuerpflicht einer Person erstmals Kenntnis erlangt, die Veranlagungsverjährung bereits eingetreten, was im Fall der periodischen Steuern nach fünf Jahren der Fall ist (Veranlagungsverjährung; Art. 120 Abs. 1 DBG bzw. Art. 47 Abs. 1 StHG), kann die Veranlagung nur noch mittels eines Nachsteuerverfahrens herbeigeführt werden. Das Recht, ein Nachsteuerverfahren einzuleiten, erlischt zehn Jahre nach Ablauf der Steuerperiode, für die eine Veranlagung zu Unrecht unterblieben oder eine rechtskräftige Veranlagung unvollständig ist (Art. 152 Abs. 1 DBG; Art. 53 Abs. 2 StHG). Es entfällt 15 Jahre nach Ablauf der Steuerperiode, auf die es sich bezieht (Abs. 152 Abs. 3 DBG; Art. 54 Abs. 3 StHG).<a title="" href="#_ftn34" name="_ftnref34"><sup>34</sup></a></p>
<p>Der Wortlaut von Art. 151 DBG verlangt, dass die Tatsachen und Beweismittel, die zu einer Nachsteuer Anlass geben, der Steuerbehörde nicht bekannt waren. Aus praktischer Sicht bedeutet dies, dass sie aus den Akten nicht ersichtlich waren, über welche die Steuerbehörde im Zeitpunkt der Veranlagung verfügte.<a title="" href="#_ftn35" name="_ftnref35"><sup>35</sup></a> Dabei ist, wie das Bundesgericht in seinem Entscheid vom 3. Dezember 2024 präzisierte, der Stand des Dossiers zur betreffenden Steuerperiode massgebend. Kenntnisse, Daten, Informationen und dergleichen, die andere – frühere oder spätere – Steuerperioden betreffen, gelten für die Zwecke des Nachsteuerrechts als nicht aktenkundig.<a title="" href="#_ftn36" name="_ftnref36"><sup>36</sup></a></p>
<p>In zeitlicher Hinsicht sind als «unbekannt» bzw. «neu» einzig jene Tatsachen und Beweismittel zu betrachten, die zwar schon bestanden haben, die der Veranlagungsbehörde bei Ablauf der Veranlagungsverjährung (bzw. bei Erlass der Veranlagungsverfügung) aber noch nicht vorlagen. Nachsteuerrelevant sind grundsätzlich nur solche unechte Noven. Nachträglich eingetretene Tatsachen (echte Noven) können in Ausnahmefällen bedeutsam sein, aber nur soweit sie die tatsächliche Grundlage rückblickend rechtserheblich zu beeinflussen vermögen.<a title="" href="#_ftn37" name="_ftnref37"><sup>37</sup></a></p>
<p>Die ungenügende Einschätzung bzw. die unterlassene Veranlagung durch die Steuerbehörde muss also auf einer unzutreffenden Sachverhaltsfeststellung beruhen, die darauf zurückzuführen ist, dass der veranlagenden Behörde im Zeitpunkt der Einschätzung bzw. vor Ablauf der Veranlagungsverjährung rechtserhebliche Tatsachen nicht bekannt gewesen sind.<a title="" href="#_ftn38" name="_ftnref38"><sup>38</sup></a> Ein blosser Verdacht auf das Vorhandensein einer rechtserheblichen Tatsache genügt indessen noch nicht, dass diese Tatsache als aktenkundig gilt. Im Falle eines «verhärteten Verdachts» auf das Vorliegen eines Briefkastendomizils der Schwestergesellschaft der einer Buchprüfung unterliegenden Gesellschaft hat das Bundesgericht festgehalten, dass «Verdacht» und «Wissen» nicht deckungsgleich sind. Ein blosser Anschein, ein Zweifel, ein Misstrauen hinsichtlich der (erfolgten oder ausgebliebenen) Steuererklärung stellt ein Durchgangsstadium in einem Erkenntnisverfahren dar, an dessen Ende das eigentliche «Wissen» liegt. Im konkreten Fall lag das erforderliche Wissen um die persönliche Zugehörigkeit der Steuerpflichtigen vor Ablauf der Veranlagungsverjährung nicht vor, weshalb die Voraussetzungen für die Einleitung eines Nachsteuerverfahrens gegeben waren.<a title="" href="#_ftn39" name="_ftnref39"><sup>39</sup></a></p>
<h2>5. Fazit</h2>
<p>Wie das Bundesgericht in seinem Entscheid vom 17. August 2023<a title="" href="#_ftn40" name="_ftnref40"><sup>40</sup></a> zu Recht festgehalten hat, erfüllt ein treuwidriges Verhalten der steuerpflichtigen Person, das in einer fehlerhaften Deklaration oder der Erteilung falscher oder unvollständiger Auskünfte besteht, regelmässig den Tatbestand der versuchten Steuerhinterziehung. Zwar kann bereits die unterlassene Einreichung einer Steuererklärung beim zur Besteuerung berechtigten Kanton zu einer Steuerhinterziehung führen, doch typischerweise wird die steuerpflichtige Person, um der Besteuerung durch den berechtigten Kanton zu entgehen, zusätzliche Vorkehrungen treffen, etwa indem sie den Behörden falsche oder unvollständige Auskünfte erteilt. Das missbräuchliche Verhalten besteht somit regelmässig darin, dass die steuerpflichtige Person versucht, den einen Kanton gegen den anderen auszuspielen. Soweit es sich um eine versuchte Steuerhinterziehung handelt, muss als subjektiver Tatbestand der Vorsatz gegeben sein, wobei Eventualvorsatz genügt. Bei der Vorspiegelung von falschen Tatsachen, um einer Besteuerung durch den berechtigten Kanton zu entkommen, ist in der Regel von Vorsatz auszugehen. Unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzung für eine strafbare Handlung kann die geschuldete Steuer unter Umständen für die letzten zehn Jahre im Nachsteuerverfahren erhoben werden.</p></article>
Use the editor to edit this text.