René Matteotti
Philipp Betschart
Aktuelle Fälle zum interkantonalen und internationalen Unternehmenssteuerrecht (2025)
Workshop von René Matteotti und Philipp Betschart anlässlich des ISIS)-Seminars vom 02. + 03. Juni 2025 mit dem Titel «Aktuelle Fälle zum interkantonalen und internationalen Unternehmenssteuerrecht»
Fall 1: Interkantonale Aspekte der direkten Bundessteuer
1. Sachverhalt
Die A AG hatte in der Steuerperiode 2020 ihren statutarischen Sitz im Kanton Zug. Die tatsächliche Verwaltung befand sich im Kanton Zürich. Daraus ergaben sich die folgenden Verfügungen und Verfahrenshandlungen:
Oktober 2021: Definitive Veranlagung der Zuger Kantons- und Gemeindesteuern und der direkten Bundessteuer durch die Steuerverwaltung des Kantons Zug, unter Annahme einer unbeschränkten Steuerpflicht im Kanton Zug.
Mai 2022: Definitive Einschätzung der Zürcher Staats- und Gemeindesteuern und definitive Veranlagung der direkten Bundessteuer durch das kantonale Steueramt Zürich, unter Annahme einer unbeschränkten Steuerpflicht im Kanton Zürich.
Juni 2022: Form- und fristgerechte Einsprache der A AG gegen die beiden Verfügungen des kantonalen Steueramtes Zürich.
August 2022: Sistierung des Einspracheverfahrens betreffend die direkte Bundessteuer und Abweisung der Einsprache betreffend Staats- und Gemeindesteuern durch das kantonale Steueramt Zürich.
September 2022-April 2024: Die A AG durchläuft betreffend die Kantons- und Gemeindesteuern den Rechtsmittelweg. Im Juni 2024 stellt das Bundesgericht letztinstanzlich fest, dass sich die tatsächliche Verwaltung der A AG im Jahr 2020 im Kanton Zürich befand. Die interkantonale Doppelbesteuerung wird nicht beseitigt, da sich die A AG widersprüchlich bzw. rechtsmissbräuchlich verhalten habe.
August 2024: Das kantonale Steueramt Zürich ersucht die ESTV gemäss Art. 108 DBG um Feststellung des Veranlagungsortes der direkten Bundessteuer.
Fragen
- Welcher Kanton ist für die Veranlagung der direkten Bundessteuer zuständig?
- Ist die Veranlagungsverfügung des unzuständigen Kantons anfechtbar oder nichtig? Welche Folgen ergeben sich daraus?
- Wie ist mit der an den unzuständigen Kanton bezahlten direkten Bundesteuer umzugehen?
- Im Rahmen des Verfahrens gemäss Art. 108 DBG macht die Steuerverwaltung des Kantons Zug gegenüber der A AG die Verwirkungseinrede geltend. Hat die A AG ihren Anspruch auf Festlegung des Veranlagungsorts bzw. auf Aufhebung der Veranlagungsverfügung des unzuständigen Kantons verwirkt?
Fall 2: Beweismass beim Ort der tatsächlichen Verwaltung
1. Sachverhalt
Die A AG verlegte am 22. September 2008 ihren Sitz vom Kanton St. Gallen in den Kanton Appenzell Ausserrhoden. Sie bezweckt den Handel mit sowie den Import und Export von Kosmetikprodukten.
An ihrem neuen Sitz verfügte die A AG lediglich über eine Bürofläche von 13 m2 im Rahmen eines Co-Working-Arbeitsplatzes (Mietpreis von Fr. 300 pro Monat, inkl. Neben- und Infrastrukturkosten).
Demgegenüber behielt die A AG im Kanton St. Gallen ihre seit 2004 gemieteten Räumlichkeiten (100 m2 mit drei Büros und einem Ausstellungs- und Lagerraum).
Im Rahmen eines Steuerhoheitsverfahrens kommt das Steueramt des Kantons St. Gallen zum Schluss, dass es sehr wahrscheinlich sei, dass sich der Ort der tatsächlichen Verwaltung weiterhin im Kanton St. Gallen befunden habe. Es stellt deshalb mittels Verfügung eine unbeschränkte Steuerpflicht der A AG im Kanton St. Gallen fest.
Nachdem die Rechtsmittel der A AG auf kantonaler Ebene alle abgewiesen wurden, erhebt die A AG vor Bundesgericht Beschwerde gegen den Kanton St. Gallen (Hauptantrag) bzw. den Kanton Appenzell Ausserrhoden (Eventualantrag).
Fragen
- Genügt die vom Kanton St. Gallen festgestellte überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass sich der Ort der tatsächlichen Verwaltung im Kanton befindet? Welche Regeln gelten bezüglich Beweislast, Beweisführungslast und Beweismass allgemein und in Bezug auf den Ort der tatsächlichen Verwaltung?
- Die A AG hat im Rahmen ihrer Steuererklärung angegeben, ausserhalb des Kantons Appenzell Ausserrhoden keine Zweigniederlassungen, Geschäftsbetriebe, Betriebsstätten oder Liegenschaften zu unterhalten. Da der Kanton Appenzell Ausserrhoden die von der AG vereinnahmten Steuern bereits im Rahmen des Nationalen Finanzausgleichs (NFA) abgerechnet hat und dort keine Korrektur möglich ist, macht er geltend, dass die A AG ihren Anspruch auf Beseitigung der Doppelbesteuerung verwirkt habe. Dringt er mit diesem Antrag durch?
- Welche Folgen ergeben sich in Bezug auf Gerichtskosten und Parteientschädigungen?
Fall 3: Gebot der vollständigen Schuld(zins)enverlegung vs. Schlechterstellungsverbot
1. Sachverhalt
Z, mit Wohnsitz im Kanton Zürich, hält neben seinem Wertschriftendepot im Kanton Thurgau liegende Grundstücke, welche verpachtet sind und land- und forstwirtschaftlich genutzt werden. Der Kanton Thurgau bewertet diese Grundstücke zum Verkehrswert von Fr. 1'000'000 (da nicht dem bäuerlichen Bodenrecht unterliegend). Sowohl der Kanton Zürich als auch der Kanton Thurgau nehmen die folgende Vermögenssteuerausscheidung vor:

Daraus ergibt sich im Kanton Zürich ein steuerbares Vermögen von Fr. 2'250'000 (zum Satz von Fr. 3'000'000).
Befänden sich die Thurgauer Grundstücke im Kanton Zürich, würden diese vom Kanton Zürich zum Ertragswert von Fr. 100'000 bewertet (da tatsächlich land- bzw. forstwirtschaftlich genutzt). Z erhebt deshalb Einsprache gegen den Einschätzungsentscheid des Kantons Zürich und macht folgende Steuerausscheidung geltend:

Daraus ergäbe sich im Kanton Zürich ein steuerbares Vermögen von Fr. 2'032'000 (zum Satz von Fr. 2'100'000).
Frage
- Z begründet seine Einsprache mit dem Schlechterstellungsverbot. Er macht geltend, dass er gestützt auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung zur interkantonalen Doppelbesteuerung Anspruch darauf habe, dass der Kanton Zürich die Thurgauer Liegenschaften gleich bewertet, wie wenn diese im Kanton Zürich liegen würden. Zu Recht?
Fall 4: Rückerstattung der Verrechnungssteuer und Nutzungsberechtigung
1. Sachverhalt
Die dänische Organisation A., eine gemeinnützige Kreditgesellschaft, kaufte im Jahr 2023 mehrere Tranchen an einer schweizerischen Staatsanleihe im Gesamtwert von CHF 10 Millionen. Die Anleihe war mit einem festen Zinssatz von 3 % ausgestattet, was zu jährlichen Zinseinnahmen von CHF 300'000 führte. Auf diesen Zinsen wurde die schweizerische Verrechnungssteuer von 35 % entrichtet, was einer Steuerbelastung von CHF 105'000 pro Jahr entspricht.
Um das Währungsrisiko der Anleihe zu minimieren, schloss A. einen sogenannten Cross-Currency Rate Swap (Swaps) mit einer Investmentbank ab.
Unter dem Swap erhielt die A. von der Investmentbank einen Betrag in CHF entsprechend dem Nominalwert der Tranche der Bundesanleihe in Schweizer Franken ("Notional") zuzüglich einer Aufschlagszahlung, die der Differenz zwischen dem Nominalwert der erworbenen Tranche und ihrem Marktwert zuzüglich Marchzins entsprach. Die A. hatte den Betrag in Schweizer Franken zum selben Satz zu verzinsen, den sie auf der entsprechenden Bundesanleihe erhielt. Als Gegenleistung bezahlte die A. der Investmentbank zu Beginn der Laufzeit des Swaps den Gegenwert des Nominalwerts der betreffenden Anleihenstranche in U.S. Dollar (USD) und sie erhielt auf diesem Betrag den variablen USD-Libor-Zins zuzüglich eines "Spreads".
Das Bundesgericht stellte sachverhaltsmässig fest, dass sich aus dem Swap-Vertrag keine Hinweise auf eine an den tatsächlichen Zufluss der Zinsen gebundene Zahlungspflicht ergaben. Vielmehr wäre A. vertraglich auch dann zur Leistung gegenüber der Swap-Gegenpartei verpflichtet, wenn die Zinszahlungen ganz oder teilweise ausgeblieben wären. A. stellte gestützt auf das zwischen der Schweiz und Dänemark abgeschlossene Doppelbesteuerungsabkommen einen Antrag auf Rückerstattung der Verrechnungssteuer in Höhe von CHF 105’000, welche auf denen Zinszahlungen aus der Bundesanleihe an die ESTV abgeliefert wurden.
Frage
- Hat A nun einen Anspruch auf Rückerstattung der Verrechnungssteuer gemäss dem DBA CH-DK?
Fall 5: Kostenaufschlagsmethode
1. Sachverhalt
Die Wasserkraftwerke A. AG (im Folgenden A) produziert Strom und liefert diesen an ihre Partnergesellschaften. Diese entschädigten die Wasserkraftwerke nach dem sog. Dividendenmodell. Um den Nachweis der Drittvergleichskonformität zu untermauern, führte die A eine Kontrollrechnung durch. Der Kostenbasis legte sie die operativen Kosten zu Grunde. Für den Kostenaufschlag verwendete sie 5%. Die Gewinnsteuern wurden nicht berücksichtigt.
Die Steuerverwaltung stellte sich demgegenüber auf den Standpunkt, dass auch ein kalkulatorischer Zins auf dem Eigenkapital berücksichtigt werden müsse. Der Kostenaufschlag müsse zudem 10% betragen. Auch die Steuerverwaltung verzichtete auf den Einbezug der Gewinnsteuern in die Kostenbasis. Da der auf der Grundlage des Dividendenmodells entrichtete Preis unter demjenigen war, welcher nach der Kontrollrechnung resultierte, nahm die Steuerverwaltung eine Gewinnaufrechnung bei der A vor.
Fragen
- Ist die Kostenaufschlagsmethode die am besten geeignete Methode?
- Falls ja, wie sind Kostenbasis und Kostenaufschlag zu ermitteln?