Franziska Stadtherr
Andreas Schiek
Sozialversicherungsrecht
Workshop von Franziska Stadtherr und Andreas Schiek anlässlich des ISIS)-Seminars vom 22. Mai 2025 mit dem Titel «Sozialversicherungsrecht»
Fall 1: Multilaterale Vereinbarung über Telearbeit
1. Sachverhalt
Anna ist deutsche Staatsangehörige mit Wohnsitz in Konstanz (Deutschland).
Sie arbeitet seit Januar 2018 als Angestellte einer GmbH mit Sitz in Zürich (Schweiz) und bezieht aus dieser Tätigkeit einen Jahreslohn von CHF 90’000.-.
Seit Juli 2023 arbeitet sie regelmässig zwei Tage pro Woche im Homeoffice in Deutschland (40%) und drei Tage vor Ort in der Schweiz (60%).
Seit Beginn der Tätigkeit werden die Lohnbeiträge mit der SVA Zürich abgerechnet.
Im Rahmen einer Revision im April 2025 wird die GmbH darauf hingewiesen, die sozialversicherungsrechtliche Unterstellung der Arbeitnehmerin ab 1. Juli 2023 abzuklären.
Variante: Anna erhält aus Spanien den Anruf, dass ihre Mutter, die in Spanien lebt, schwer erkrankt sei. Anna beabsichtigt daher, die nächsten 12 Monate Telearbeit von Spanien aus für die GmbH in der Schweiz zu leisten.
Fragen
- Welche sozialversicherungsrechtlichen Regelungen sind für Personen zu beachten, die im Homeoffice in ihrem EU/EFTA-Wohnstaat arbeiten?
- Welche administrativen Massnahmen müssen Arbeitgebende ergreifen, um die sozialversicherungsrechtliche Situation bei grenzüberschreitender Telearbeit korrekt zu handhaben?
- Welche konkreten Vorteile und Herausforderungen bringt die neue multilaterale Rahmenvereinbarung zur grenzüberschreitenden Telearbeit für Unternehmen und Arbeitnehmende?
- Gibt es eine Regelung, welche es ermöglicht, auch ausserhalb vom Wohnstaat in der EU/EFTA Telearbeit zu leisten, ohne seinen Versicherungsschutz in der Schweiz zu verlieren?
- Welche administrativen Schritte sind erforderlich, um im Rahmen einer Entsendung in einen EU/EFTA-Staat Telearbeit zu 100 % ausüben zu können?
Fall 2: Verwaltungsrat mit Wohnsitz ausserhalb der Schweiz
1. Sachverhalt
Herr Moser ist deutscher Staatsbürger und lebt in München. Er ist dort als selbstständiger Unternehmensberater tätig.
Im Frühjahr 2025 wird Herr Moser in den Verwaltungsrat der SwissTech AG mit Sitz in Zürich berufen.
Er erhält kein VR-Honorar (also keine Vergütung für seine Tätigkeit im Verwaltungsrat).
Seine Tätigkeit als Verwaltungsrat übt er überwiegend von Deutschland aus – insbesondere in Form von E-Mail-Korrespondenz, strategischen Auswertungen und gelegentlichen Video-Calls. Einmal jährlich reist er zur Verwaltungsratssitzung nach Zürich.
2026 beabsichtigt Hans Moser seinen Wohnsitz nach Dubai (VAE) verlegen. Sein VR-Honorar soll an eine AG in Dubai ausbezahlt werden, in der er ebenfalls Einsitz im VR nehmen wird.
Variante: Hans Moser ist bei einem deutschen Konzern in München angestellt. Er vertritt den deutschen Konzern im VR der Schweizer Tochtergesellschaft. Das VR-Honorar der Schweizer Tochtergesellschaft wird an den deutschen Konzern überwiesen.
Fragen
- Welches Sozialversicherungsrecht findet Anwendung, wenn Organe einer juristischen Person in der Schweiz in einem EU/EFTA-Staat leben und arbeiten?
- Welche sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften gelten, wenn im Wohnsitzstaat (EU/EFTA) zusätzlich eine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird?
- Welche administrativen Verfahren sind notwendig, um die zuständige Sozialversicherung festzustellen?
- Welche sozialversicherungsrechtlichen Konsequenzen ergeben sich bei einem Wohnsitzwechsel in einen Drittstaat ohne Sozialversicherungsabkommen mit der Schweiz?
- Handelt es sich beim VR-Honorar einer Schweizer AG, welches dem EU-Arbeitgeber des VR ausbezahlt wird, um massgebenden Lohn?
Fall 3: Ausländischer Arbeitgeber mit Arbeitnehmer in der Schweiz
1. Sachverhalt
Die in Berlin domizilierte Tech GmbH möchte den in der Schweiz wohnhaften ETH Absolventen Tom (Schweizer Staatsangehöriger) als Software Entwickler mit einem Pensum von 100% anstellen. Tom wird seine Arbeit für Tech GmbH mehrheitlich aus einem Co-Working Space in Zürich erbringen (80%) und nur gelegentlich am Sitz seiner Arbeitgeberin in Berlin arbeiten (20%).
Fragen
- Welchem Sozialversicherungsrecht untersteht Tom?
- Wie gestaltet sich die Beitragspflicht? Welche Möglichkeiten gibt es?
Fall 4: Mitarbeiterbeteiligungen im internationalen Verhältnis
1. Sachverhalt
Emma, britische Staatsbürgerin, ist seit dem 1. April 2023 in der Funktion als Chief Operation Officer bei der börsenkotierten MedTec AG in Zürich tätig. Während der Zeitdauer vom 1. Januar 2021 bis 31. März 2023 war Emma bei der US-Tochtergesellschaft in Boston beschäftigt. Sie hat ihren Wohnsitz per
1. April 2023 von den USA in die Schweiz verlegt und ihre Lohnbeiträge werden ab diesem Datum mit der SVA Zürich abgerechnet.
Emma hat unter dem Long Term Incentive Plan der MedTec Gruppe in den vergangenen Jahren folgende Optionen erhalten:

Emma übt am 1. Mai 2025 bei einem Börsenkurs von CHF 50 sämtliche Optionen von 2021 und 2022 sowie die gevesteten 1'000 Optionen 2023 aus und realisiert folgende Brutto-Gewinne:
Optionen 2021: 600 x (CHF 50 – CHF 15) = CHF 21'000
Optionen 2022: 750 x (CHF 50 – CHF 20) = CHF 22'500
Optionen 2023: 1'000 x (CHF 50 – CHF 25) = CHF 25'000
Variante: die bei Optionsausübung erworbenen Aktien unterliegen einer Veräusserungssperrfrist von 2 Jahren.
Fall 5: Bonuszahlung nach Wegzug ins Ausland
1. Sachverhalt
Brian, Staatsangehöriger von Costa Rica, wohnte und arbeitete von Oktober 2019 bis März 2023 in der Schweiz für die Schweizer Tochtergesellschaft (CH AG) eines US Konzern. Anfangs April 2023 zog er in die USA und war dort für die amerikanische Schwestergesellschaft (US Inc) tätig. Im Januar 2024 wurde ihm von der US Inc ein Bonus für das Geschäftsjahr 2023 in der Höhe von USD 240'000 ausbezahlt.
Da Brian die Schweiz per Ende März 2023 endgültig verlassen hatte, wurden ihm auf seinen entsprechenden Antrag hin die bezahlten AHV-Beiträge der Jahre 2019 – 2023 teilweise zurückerstattet.
Anlässlich einer Arbeitgeberkontrolle stellte der Revisor fest, dass auf der anteiligen Bonuszahlung 2024 Quellensteuern, nicht aber Sozialversicherungsbeiträge abgerechnet wurden. Mittels Verfügung forderte die Ausgleichskasse von der CH AG auf der entsprechenden Lohnsumme die Sozialversicherungsbeiträge inkl. Verzugszinsen nach. Die CH AG erhob Einsprache mit den Argumenten, dass die Bonuszahlung von der US Tochtergesellschaft erfolgt sei und Brian zu diesem Zeitpunkt nicht mehr der Schweizer Sozialversicherungspflicht unterstanden habe.
Fragen
- Wie sind die Argumente der CH AG zu beurteilen?
- Spielt es eine Rolle, ob Brian zur Rückforderung der geleisteten AHV Beiträge berechtigt war?