Thomas Jaussi
Markus Küpfer
Update zur Verrechnungssteuer und zu den Stempelabgaben (2025)
Workshop von Thomas Jaussi und Markus Küpfer anlässlich des ISIS)-Seminars vom 02. + 03. Juni 2025 mit dem Titel «Update zur Verrechnungssteuer und zu den Stempelabgaben»
Fall 1: Meldeverfahren vs. Entrichtung der Verrechnungssteuer
1. Sachverhalt
Die Produktions AG ist eine in der Schweiz unbeschränkt steuerpflichtige Gesellschaft. Innerhalb des globalen Bitterballen-Konzerns ist sie für die Herstellung von Nahrungsmitteln mit hohem Proteingehalt zuständig. Die Produktions AG wird vollumfänglich von der ebenfalls in der Schweiz unbeschränkt steuerpflichtigen Beteiligungen AG gehalten. Der Beteiligungen AG kommt die Funktion einer Länderholding zu. Die Beteiligungen AG wird ihrerseits von der holländischen Bitterballen B.V. gehalten, welche die Top-Holding des Bitterballen-Konzerns ist.
Eine Buchprüfung durch die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) für die Belange der Verrechnungssteuer und Stempelabgaben im Jahre 2021 ergab, dass die Produktions AG in ihren Geschäftsjahren 2016 bis 2020 Lohnaufwendungen für eine Person (Frau Global) in ihren Büchern auswies, obwohl diese gar nicht für die Produktions AG, sondern effektiv für zahlreiche andere Gruppengesellschaften innerhalb des Bitterballen-Konzerns tätig war, die allesamt ausserhalb der Schweiz ansässig waren. Die ESTV schätzte (in Ermangelung von exakten Auskünften der Produktions AG) die entsprechenden Lohnaufwendungen der Produktions AG für Frau Global für die Jahre 2016 bis 2020 auf insgesamt CHF 500'000.--. Die ESTV erachtete darin geldwerte Leistungen der Produktions AG zu Gunsten derjenigen Konzerngesellschaften, für welche Frau Global tätig war. Diese geldwerte Leistung führte zu einer Verrechnungssteuerforderung von CHF 175'000.-- (ausmachend 35% auf CHF 500'000.--).
Da sich die Produktions AG im Zusammenhang mit dieser geldwerten Leistung die Mühe ersparen wollte, eine Ausscheidung der einzelnen Steuerforderungen auf die verschiedenen effektiv leistungsbegünstigten Gesellschaften innerhalb des Konzerns vorzunehmen, rechnete sie die von der ESTV geltend gemachte Verrechnungssteuer ins Hundert auf und überwies der ESTV per 30. November 2021 vorbehaltlos den Betrag von CHF 269'231.—. Auch der von der ESTV der Produktions AG daraufhin in Rechnung gestellte Verzugszins beglich diese vorbehaltlos.
Im Jahre 2023 kam die Produktions AG auf Grund einer erneuten Überprüfung des von der ESTV im Jahre 2021 aufgegriffenen Sachverhalts zum Schluss, dass die von ihr deklarierte und anschliessend per 30. November 2021 entrichtete Verrechnungssteuer im Meldeverfahren hätte erledigt werden können. Letztlich leistungsbegünstigt sei nämlich jeweils die niederländische Bitterballen B.V. Auf Grund dieses Umstands sei die im Jahre 2021 entrichtete Verrechnungssteuer nachträglich nicht mehr geschuldet und die ESTV habe der Produktions AG die «irrtümlich» entrichtete Verrechnungssteuer in der Höhe von CHF 269'231.--, nebst dem bezahlten Verzugszins sowie einem Vergütungszins ab der Überweisung der Steuerforderung an die ESTV zurückzuerstatten. Würde die ESTV wider Erwarten an ihrer Verrechnungssteuerforderung festhalten, bestreite die Produktions AG zudem die Höhe der geldwerten Leistung, welche in Tat und Wahrheit deutlich tiefer gewesen sei als die von der ESTV in Rechnung gestellten CHF 500'000.--. Dokumente, welche diesen Umstand bestätigen könnten, legte die Produktions AG jedoch nicht bei. Die Produktions AG reichte damit ein Gesuch um Durchführung des Meldeverfahrens ein und ersuchte die ESTV für den Fall, dass ihrem Gesuch nicht entsprochen werde, um den Erlass einer anfechtbaren Verfügung. Die ESTV erliess daraufhin eine formelle Verfügung, in welcher sie vollumfänglich die geldwerte Leistung von CHF 500'000.-- bestätigte. Dagegen erhob die Produktions AG Einsprache.
Im Vorfeld des Erlasses des Einspracheentscheids gab die ESTV der Produktions AG die Möglichkeit, die Höhe der geldwerten Leistung zu belegen. Die Produktions AG legte daraufhin bloss lückenhaft entsprechende Aufzeichnungen ins Recht. So zog die ESTV direkt – das heisst ohne dies zuvor der Produktions AG mitzuteilen – Abrechnungen bei, die sie im Jahre 2022 im Rahmen eines verwaltungsstrafrechtlichen Verfahrens gegenüber der Produktions AG im Rahmen einer Einvernahme eines Organs der Gesellschaft als Auskunftsperson erhalten hat. Diese Abrechnungen zeigen auf, dass die Aufwendungen der Produktions AG für die vorliegend interessierenden Lohnzahlungen für die Jahre 2016 bis 2020 tatsächlich CHF 510'000.-- betrugen.
Fragen
- Ist der Beizug der Akten aus dem Verwaltungsstrafverfahren für das vorliegende materielle Steuerverfahren rechtens? Gibt es sonstige verfahrensrechtliche Aspekte zu beachten?
- Hat die ESTV vorliegend zurecht die Lohnaufwendungen der Produktions AG als geldwerte Leistungen qualifiziert? Wenn ja: Ist ein Meldeverfahren zulässig?
Fall 2: Gratisaktien
1. Sachverhalt
Die Muster Holding AG ist eine inländische Aktiengesellschaft aktuell mit einem Aktienkapital von CHF 10'000'000, eingeteilt in 10'000'000 Aktien à CHF 1. Die Muster AG beherrscht als TopCo die Muster-Gruppe von rund 20 operativen in- und ausländischen Tochtergesellschaften. Eine operative Gesellschaft ist die inländische Muster Management AG, welche ausschliesslich Dienstleistungen an die operativen Gesellschaften erbringt.
Die Muster Holding AG wird von verschiedenen Aktionären gehalten. Alle Aktionäre sind inländische juristische Personen mit einem Kapitalanteil von mindestens zehn Prozent. Hierbei gilt folgendes:
- Die Aktionärin CEO Holding AG, eine inländische Gesellschaft, wird von CEO in seinem Privatvermögen gehalten. CEO, eine inländische natürliche Person, ist der Geschäftsführer der Muster-Gruppe und hat einen Arbeitsvertrag bei der Muster Management AG.
- Die Aktionärin CFO Holding AG, eine inländische Gesellschaft, wird von CFO in seinem Privatvermögen gehalten. CFO, eine inländische natürliche Person, ist der Finanzchef der Muster-Gruppe und hat einen Arbeitsvertrag mit der Muster Management AG.
Gestützt auf einen bestehenden Aktionärsbindungsvertrag haben CEO und CFO Anspruch darauf, je 300'000 Aktien an der Muster AG à CHF 1 Nominalwert zu diesem Wert zu erwerben, wobei der Verkehrswert pro Aktie CHF 10 beträgt. Gemäss Vereinbarung können CEO und CFO diesen Anspruch entweder persönlich oder über die CEO bzw. CFO Holding AG ausüben.
Die Muster Holding AG hat im Jahr 2024 750'000 Gratisaktien à CHF 1.00 und somit Aktienkapital von total CHF 750'000.00 durch Umwandlung von CHF 750'000.00 steuerlich anerkannten Kapitaleinlagereserven in Aktienkapital geschaffen. CEO und CFO haben jetzt entschieden, die ihnen je zustehenden 300'000 Aktien an der Muster Holding AG zum Kaufpreis von je CHF 300'000 über die CEO bzw. die CFO Holding zu erwerben.
Die Gratisaktien wurden bei der Muster Holding AG handelsrechtskonform nicht aktiviert, ihre Schaffung wurde wie folgt verbucht:
- Kapitaleinlagereserven / Aktienkapital: CHF 750'000.00
Die jetzige Ab- bzw. Ausgabe der je 300’000 Aktien an die CEO bzw. die CFO Holding AG wird wie folgt verbucht werden:
- Bank / Kapitaleinlagereserven: CHF 600'000.00
Zusammenfassend stellen sich die Struktur und die geplante Transaktion somit wie folgt dar:

Fragen
- Welche Folgen hat die Schaffung der Gratisaktien?
- Welche Folgen hat die Ausgabe bzw. der Verkauf der Gratisaktien zu Nominalwert
- Würde sich etwas ändern, wenn CEO und CFO die Aktien an der Muster Holding AG direkt halten und die je 300'000 Aktien persönlich erwerben würden?
Fall 3: Faktische Liquidation / Liquidatorenhaftung
1. Sachverhalt
Die Muster AG wurde in den 90-ger Jahren gegründet. Ihr Aktionär, Herr Muster, lebt in Panama. Die Muster AG hielt verschiedene Minderheitsbeteiligungen an mexikanischen Gesellschaften, welche Goldminen betreiben. Zwischen 2010 und 2013 wurden diese Beteiligungen veräussert. Per 31. Dezember 2013 war die Bilanz der Muster AG wie folgt (Zahlen in CHF):

Per 1. Januar 2014 hat die Muster AG ihre Liquidität gestützt auf einen Darlehensvertrag ihrem Aktionär ausgerichtet. Das Darlehen lautete auf CHF und wurde gemäss den Zinssätzen der ESTV nach Zinsenrundschreiben verzinst. Anfangs 2021 wurde das CHF-Darlehen in ein USD-Darlehen umgewandelt. Die Zinsen wurden seit Darlehenseinräumung laufend kapitalisiert. Ende 2023 wurde die Liquidation der Muster AG beschlossen, welche seither als Muster AG in Liquidation firmiert.
Herr Treugut war ab der Gründung der einzige Verwaltungsrat der Muster AG mit Einzelunterschrift, ab Ende 2023 ist er als Liquidator im Handelsregister eingetragen. Nach dem Rücktritt von Herrn Treugut als Liquidator und Verwaltungsrat im Oktober 2024 wurde das Konkursverfahren eröffnet.
Per 31. Dezember 2024 sieht die Bilanz der Muster AG wie folgt aus:

Im Januar 2025 teilt die ESTV Herrn Treugut mit,
- dass eine geldwerte Leistung für die Jahre 2021 bis 2024 vorliege, weil weiterhin der Zins nach Zinsenrundschreiben für CHF und nicht der höhere Zins für USD angewandt worden sei,
- dass die Muster AG faktisch liquidiert sei
- und dass Herr Muster für die Verrechnungssteuer auf dem Liquidationsüberschuss solidarisch mit der Muster AG haftbar sei.
Fragen
- Liegt eine faktische Liquidation vor?
- Liegen geldwerte Leistungen im Sinne eines zu tiefen Zinsertrages vor?
- Findet die Liquidatorenhaftung gestützt auf Art. 15 VStG Anwendung?